Formel kriminell

Kolumne April 2012

„Man sollte sich nicht um Dinge kümmern, die einen nichts angehen, sondern um Reifentemperatur und Rennwagen“ und „Soweit es geht, sich nicht von äußeren Umständen beeinflussen lassen“. Dinge, die einen nichts angehen und sich nicht von äußeren Umständen beeinflussen lassen? Mit den Dingen und den Umständen sind die realpolitischen Verhältnisse im Inselstaat Bahrein gemeint. Die Sätze stammen von dem Schweizer Steuerbürger Sebastian Vettel, in die Kamera gesprochen vor und nach dem Formel-1-Rennen.

Die „Dinge“, das sind Unterdrückung, Folter und Todesstrafe für die Opposition, die es wagt, demokratische Verhältnisse zu fordern. Die „Umstände“, das sind die Demonstrationen gegen das Herrscherhaus Al Khalifa und den PS-Zirkus.

Es wäre jedoch zu einfach, nur die Fahrer an den Medienpranger zu stellen. Sind sie doch bloß die Gladiatoren, die für gutes Geld ihr Leben riskieren. Wer ständig im Kreis fährt, verliert übrigens schnell die Orientierung für die Realität außerhalb der Pisten. Außerdem: „Die wollen doch nur spielen“.

Verantwortlich für die Unterstützung einer mit staatlicher Willkür herrschenden Königsfamilie, die unlängst mit Hilfe der Saudis einen Volksaufstand mit bis zu 80 Toten und an die 3000 Festnahmen brutal niederschlagen ließ, sind noch ganz andere. An der Spitze dieser traurigen Boliden-Pyramide bewegt sich der greise Chefkassierer Bernie Ecclestone, der kürzlich vor einem Münchener Gericht erst dann zur Aussage bereit war, nachdem man ihm Freies Geleit zugesichert hatte und der auch sonst keine Skrupel kennt. Da sind aber auch all die Rennställe mit ihrem Tross von Mechanikern, Betreuern und Groupies. Zum Beispiel Mercedes, Ferrari und Red Bull, Hersteller der weltweit vertriebenen Energiebrause gleichen Namens. Mit von der Party ist aber auch die Riege jener Sportreporter, denen es offenbar nichts ausmacht, dass ihre Kollegen aus anderen Ressorts nicht ins Land gelassen wurden.

Bleiben die Millionen Gaffer an der Strecke und vor den Bildschirmen von RTL und Skylive. Erst sie garantieren schließlich den enormen finanziellen Erfolg. Für sie müssen die Fahrer auch schon einmal nachts unter Flutlicht ihre Runden drehen, damit das Spektakel zu besten Sendezeiten in die Wohnzimmer übertragen werden kann. Die Entscheidung, das Rennen nach der Absage 2011 jetzt stattfinden zu lassen, war verantwortungslos, ja kriminell. Es wäre allerdings lächerlich, allen Beteiligten mit so etwas Altmodischem wie Moral zu kommen. Das nächste Rennen in Bahrein ist von Bernie für 2013 schon fest terminiert. Der Gipfel des Zynismus ist die Behauptung, erst durch das Rennen sei die Weltöffentlichkeit auf die Opposition aufmerksam geworden.

Die ganze Veranstaltung ist ein Beispiel für die alltägliche Schizophrenie. Es ist zwar richtig, dass fast alle Medien im Vorfeld und während der Show über die diktatorischen Zustände in Bahrein mehr oder weniger ausführlich berichtet haben. Zur gleichen Zeit haben sie aber mit der gleichen Ausführlichkeit das Rennen bis in die Nachrichten hinein wie eh und je fürsorglich begleitet. Im Sinne der Glaubwürdigkeit hätte es aber nur eine Antwort gegeben: ein Boykott der Übertragung des Rennens samt Vorberichterstattung und Siegerehrungsspaß mit Granatapfelwasserdusche. Aber dafür waren wohl alle Verantwortlichen schlicht zu feige. The Show must go on. Aserbaidschan und die Ukraine warten schon. Gute Unterhaltung!

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