Kolumne 7. Juni 2012
Was steht uns 10 Jahre nach dem Umweltgipfel von Rio bevor, die Energiekrise oder die Klimakatastrophe? Oder beides, weil die Probleme der Energiekrise in den nächsten Jahrzehnten nur mit selbstmörderischer Ignoranz gegenüber dem drohenden Klimadesaster zu bewältigen sind?
Wenn man nicht nur an die eigene Lebenszeit denkt sondern an die nächsten vier bis fünf Generationen der Weltbevölkerung, dann kann einem angst und bange werden. Die 27 EU-Staaten hatten sich vorgenommen, bis zum Jahre 2050 den Ausstoß von Treibhausgasen um mindestens 80% im Vergleich zur Emission von 1990 zu senken. Um dieses Ziel zu erreichen, genügt nicht nur der politische Wille. Es muss allen, die CO2 in die Atmosphäre blasen, auch Geld kosten. Abgerechnet wird in erworbenen Zertifikaten. Dies sollte – so die Vorstellung der europäischen Regulierungsbehörden – die Stromerzeuger veranlassen, in erneuerbare Energie zu investieren. Der von Solarzellen oder Windrädern erzeugte Ökostrom wird in die Netze eingespeist und die traditionelle Verwandlung von Kohle in Strom dürfte sich dank der Emissionszertifikate als immer teurer und damit letztlich unwirtschaftlich erweisen.Doch die Regulierer haben offenbar unterschätzt, dass die Kräfte des Marktes nicht so leicht auf EU-Vorschriften reagieren. Innerhalb eines Jahres hat sich der Preis je Tonne CO2 an der Strombörse auf ganze 7 Euro halbiert. Um jedoch wirkliche Investitions-Anreize zu schaffen, müssten laut EU-Kommission 20 Euro erzielt werden. Klimaschützer gehen von der doppelten Summe aus. Das bedeutet: weil zu viele von der EU zugewiesene Zertifikate auf dem Markt sind, war es noch nie so billig wie jetzt, in Kraftwerken auf Teufel komm raus Kohlendioxid zu erzeugen. Kein Wunder also, dass sich vor allem Polen und Griechenland als Kohleverstromer heftig dagegen wehren, wenn die EU-Kommission, wie angekündigt, Emissionsrechte vomMarkt nähme, um wieder einen vernünftigen Preis anzusteuern. Es geht also nicht mehr um hehre Klimaziele einer nachhaltigen Energiepolitik – es geht letztlich darum, dass angesichts der Wirtschafts- und Finanzkrise der Klimaschutz in Europa arg ins Hintertreffen gerät.
Der amerikanische Physiker und Nobelpreisträger Robert Laughlin beschreibt in seinem jüngsten Buch „Der Letzte macht das Licht aus“ die Zukunft der Energie in der Welt. In spätestens acht Jahrzehnten sind die Ölreserven aufgebraucht, Gas und Kohle garantiert in den nächsten zweihundert Jahren. In den Wüsten verwandeln riesige Solarparks die Gratissonne in Strom. Über die Gefahren der Kernenergie wird niemand mehr diskutieren, weil der günstige Strompreis jeden Bedenkenträger verstummen lässt. Kraftstoffe entstehen aus Müll und Algen. Fehlendes Erdgas wird von Dung und anderen Abfallstoffen der Agrarindustrie ersetzt – verbrannt wird so gut wie alles, was Kohlenstoff enthält.
Laughlin prophezeit, dass sich die meisten Menschen in Zukunft eher für niedrige Energiekosten als für eine saubere Umwelt und den Schutz des Erdklimas entscheiden werden. Damit dürfte jede Hoffnung auf Vernunft enden, weil die wirtschaftlichen Zwänge jede Debatte über Emissionshaushalte und nachhaltige Energiepolitik als weltfremde Phantastereien ersticken würden.
Laughlin läßt sein Szenario erst im Jahr 2212 spielen. Doch schon in den nächsten hundert Jahren, prophezeien uns Klimaexperten, könnte es auf dem Globus um zwei bis vier Grad wärmer werden. Steuert der Mensch dem nicht entgegen, wird der steigende Meeresspiegel ohnehin jede Prognose überspülen.