Privat war gestern

Kolumne 21. Juni 2012

„Daten sind das neue Öl“ behauptet der britische Autor David McCandless unter Verweis auf die Ausbeutbarkeit und den Wert eines Rohstoffes, den die weltweite Netzgemeinde unaufhörlich sprudeln lässt. Die Quellen des Web und der sogenannten „Sozialen Dienste“ liefern alles, was ihre Nutzer bereit sind preiszugeben.

Und selbst, wenn sie es nicht bewusst tun – also weit unterhalb der Facebook-Freigiebigkeit – so bleiben doch aus jeder Bewegung im Internet genügend Spuren übrig, die von den Datensammlern gewinnbringend nachverfolgt werden können. Wo habe ich mich aufgehalten, welche meiner Vorlieben vertraute ich dem Internet an, was wurde noch nicht gekauft, obwohl ich eine „interessiert mich“- Spur hinterlassen hatte? Alles wird gespeichert. Doch wo, in welchem Land, wie lange, und vor allem, welche meiner Daten gegen Bares weiterveräußert wurden – das werde ich wohl nie erfahren. All diese Fragen bleiben unbeantwortet, denn es gibt keinen Adressaten, dem ich sie übermitteln kann. Wohlbemerkt, das sind nicht die irrationalen Ängste eines aus der Zeit gefallenen Paranoikers, der sich ausgespäht wähnt. Es sind lediglich legitime Bedenken angesichts eines vor Jahren noch unvorstellbaren Kontrollverlustes über das Selbstbestimmungsrecht. Ich will immer noch selbst entscheiden, wer was über mich erfährt.
Die USA bereiten ein neues Gesetz vor, das den US-Behörden weltweit Überwachung und Zugriff auf alle unsere Netzaktivitäten erlaubt. Microsoft und Facebook, so heißt es, seien die entscheidenden Unterstützer.
Die ersten Ideologen des Post-Privacy-Zeitalters beginnen schon, mir die neue Welt zu erklären. „Prima leben ohne Privatsphäre!“ heißt der Titel des Buches, das ein Berliner Blogger in Printfassung gebracht hat. Darin die Prophezeiung; wer seine informelle Privatheit aufgibt soll für diese exhibitionistische Übung mit vielen neuen Freundschaften von Leuten, die gleiches tun, reich belohnt werden. Was wir heute noch Datenschutz nennen, soll nicht mehr als eine Übergangslösung gewesen sein. Die orwellsche Vision ist eine vorgestrige – jetzt wird der eine des anderen Big Brother. 

Kein Zweifel, das Datenschutzrecht muss sich weiterentwickeln, will es nicht dem rasenden technologischen Fortschritt das Feld im Zustand der Gesetzlosigkeit überlassen. Rechtsetzung muss sich am praktischen Leben orientieren – sagt der oberste Datenschützer der Republik. Aber sie darf auch nicht zurückweichen! Denn es muss Kräfte geben, die den Saugrüssel der Datensammel-Monopolisten im Zaum halten, wenn das Grundrecht der informellen Selbstbestimmung nicht zur leeren Hülle werden soll. Nationale Gesetze werden die „AGFA“ genannten allmächtigen Unternehmen Apple, Google, Facebook und Amazon nicht beeindrucken oder bändigen können. Nur mit einer verbindlichen europäischen Richtlinie für den Datenschutz kann man den Globalplayern einigermaßen souverän begegnen. Schließlich geht es weltweit um Erträge aus dem Verkauf von Kundendaten die sich nur noch mit der profitablen Ausbeutung von Rohstoffen für die Energieerzeugung vergleichen lassen. Angesichts der aggressiven Ignoranz, mit denen die Internetgiganten bisher geltenden Grundrechten begegnen, verbietet sich jede Naivität. Die Daten der Internetnutzer werden zur Währung des Web 2.0 und es geht um nichts anderes als um handfeste Profitinteressen. 

Wer erinnert sich eigentlich noch an die vehementen bis irrationalen Proteste die der Volkszählung in den achtziger Jahren entgegenschlugen?

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