Unter Clowns

Kolumne April 2013

So leidenschaftlich ich auch Bahn fahre, als Kind wollte ich nie Lokomotivführer werden, wie viele meiner Altersgenossen. Mein Berufs- und Lebensziel war Zirkusdirektor. Noch heute versäume ich kaum eine Vorstellung, gastiert eine große oder noch so kleine Zirkustruppe in meiner Nähe. Spötter meinen gelegentlich, ich sei doch in meiner jetzigen Funktion in der Berliner Akademie der Künste meinem Kinderwunsch recht nahe gekommen.

An meine Kinderträume erinnere ich mich, wenn in diesen Tagen häufiger als sonst von Clowns die Rede ist. Und das nicht nur im Umfeld der Sägespäne in der Arena, sondern auf höchster politischer Ebene. Denn welcher Zirkus käme schon ohne den Dummen August aus mit seinen oft viel zu großen Schuhen. Als mehrfach höchstrichterlich geprüfter Satiriker erlaube ich mir, in dieser Causa ein fachlich-sachliches Wort mitzureden. Jedenfalls dann, wenn der anerkannte Berufsstand der Clowns – der in dem Russen Oleg Popow seine höchste Vollendung findet – im Hier und Jetzt nun allzu leichtfertigen Interpretationsversuchen ausgesetzt ist. Um es deutlich zu sagen: Clowns sind keine billigen Kalfaktoren des Showgeschäfts, keine kunterbunten Spaßvögel im Dienste eines oberflächlichen Unterhaltungsbedürfnisses mit Schenkelklopfgarantie.

Ganz im Gegenteil. Die meisten von ihnen sind Menschen – den Narren bei Hofe ähnlich – die höchst verantwortlich auf ihre eigene Art und Weise Wahrheiten in die Zuschauerränge schleudern. Dass nicht wenige von ihnen privat eher traurige, bis verzweifelte Zeitgenossen sind, hört man immer wieder. Was die Ernsthaftigkeit dieser Künste anbelangt, hat Bernhard Paul vom großartigen Circus Roncalli das Nötige bereits gesagt. Ob man nun den inzwischen in aller Munde herumgeisternden Italiener Beppe Grillo zu dieser Kategorie zählen kann, erscheint mir zunehmend zweifelhaft. Schon aus beruflichem Interesse beobachte ich den Enthüller von Korruptionsskandalen, aber auch populistischen Eurohasser und begnadeten Schreihals schon seit Jahren. Sind es doch vor allem seine Äußerungen nach dem phänomenalen Wahlsieg seiner Grillisti. Aus dem Stand zur stärksten Partei zu werden ist im Europa der Neuzeit ohne Beispiel. Welch Frust,  Enttäuschung und Verachtung alles Realpolitischen eines für marode gehaltenen Gesellschaftssystems mag zu diesem Ergebnis geführt haben. Jedenfalls auch eine Europapolitik, die von der deutschen Regierung via Brüssel wesentlich mit zu verantworten ist.

Doch wie steht es nun um die Verantwortung des selbsternannten Führers, wenn er lustvoll „das System aus den Angeln heben“ will, pauschal alle Parteien und Politiker für korrupt hält und jede Zusammenarbeit mit jedem ohne Kompromiss verweigert und stattdessen selbst die Regierung stellen will. Sogar den eigenen gewählten Abgeordneten verbietet er das Gespräch mit den nationalen Medien. Mit Demokratie hat das alles nur noch wenig tu tun und ist höchst gefährlich. Bleibt zu hoffen und bei genauem Hinsehen der Gewählten auch zu vermuten, dass sich die Grillisti in ihrer Mehrheit von ihrem sich zunehmend autokratisch gebärdenden Anführer nicht beliebig wie eine Schafherde durch die Arena treiben lassen.

Italienische Verhältnisse? Vielleicht. Für die deutschen Piraten ist jedenfalls noch kein ähnlicher Nährboden für ähnliche Entwicklungen bereitet. Dennoch ist jeder politisch schlecht beraten, der den italienischen Probelauf als einmaliges Vorkommnis jenseits der Alpen abtut, ohne das eigene Handeln zu hinterfragen.

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