Politischer Hürdenlauf

Kolumne März 2014

Die Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley drückte einmal ihre Enttäuschung über die Bundesrepublik so aus: „Wir wollten Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat“. Wenn sie von „wir“ sprach, konnte sie sicher sein, im Namen vieler DDR-Bürger zu sprechen. Dabei ist es der Rechtsstaat, der mit all seinem Regelwerk und Gesetzen den sich bedroht Fühlenden zu seinem Recht verhilft.

Oberster Hüter dieser Rechtsordnung ist das Bundesverfassungsgericht. Zwar habendessen höchstrichterlichen Entscheidungen hin und wieder Verwunderung ausgelöst, von krassen Fehlentscheidungen sprach bisher kaum jemand. Das hat sich für mich jetzt geändert. Ich halte das Urteil zur Verfassungswidrigkeit der Drei-Prozent-Sperrklausel im Europawahlrecht für ein Fehlurteil.

Es heißt immer, wir leben in einer parlamentarischen Demokratie mit frei gewählten Parlamentariern. Die Verfassungsrichter in ihren beeindruckenden roten Roben werden bisher nur von einem kleinen Bundestagsausschuss ernannt. Höchste Zeit, dass sich das ändert und die Richter vom ganzen Parlament gewählt werden. Mit der jüngsten Entscheidung widerspricht das oberste Gericht einem demokratischen Beschluss des Bundestages. Woher nehmen die Richter die Legitimation für diese einschneidende politische Entscheidung, die sich in einem wichtigen Punkt über den politischen Gestaltungsspielraum des Parlamentes hinwegsetzt? Und das in einer Situation, in der rechtsradikale und erklärt antieuropäische Parteien und Bewegungen immer mehr Zuspruch finden.

Einige Kritiker trösten sich damit, dass es bei dem Urteilsspruch ja nur um Wahlen zum Europaparlament gehe. Nur Europawahlen? Welche Weltfremdheit und Verkennung der Rolle der EU verbirgt sich hinter dieser Meinung? Andere hingegen betrachten das Urteil als Aufforderung, die Fünf-Prozent-Hürde bei der Wahl zum Bundestag gleich mit abzuräumen. Man muss nicht gleich an das Ende der Weimarer Republik denken, aber bedrohliche Erinnerungen drängen sich schon auf. Es ist die schleichende Erosion des Demokratischen, die beunruhigt.

Was Wunder, dass der lauteste Jubel von der NPD kam. Derselben Partei, deren Verbotsantrag vor demselben Gericht schmort. Welch Paradoxon: Die Partei, die verboten werden soll, erficht zusammen mit anderen Gruppierungen ein Urteil, das ihr den Weg ins Europaparlament einfacher ebnet – einem Europa, das sie gleichzeitig abschaffen wollen. Auch wenn die rechtsnationale Truppe nur mit ein bis drei Mandaten rechnen kann, es war das falsche Signal in schwieriger Zeit. Jede weitere Zersplitterung der Parteienlandschaft macht das Regieren schwerer. Das Lob des NPD-Vorsitzenden für die Entscheidung des Hohen Gerichts wird den Adressaten kaum gefallen haben.

Was bleibt? Die gelegentlich europamüden Demokraten sollten begreifen, was auf dem Spiel steht. Je niedriger die Wahlbeteiligung, desto besser für die Parteien vom Schlage der NPD. Nach dem Urteil fragte BILD: „Kann jetzt jeder Spinner ins Europaparlament?“ Ganz so schlimm wird es hoffentlich nicht werden. Denn für jedes der Deutschland zustehenden 96 Mandate bedarf es deutlich mehr als 100000 Stimmen, eine Art Spinnerbremse gegen allzu Exotisches. Deshalb mein „flammender Appell“: WÄHLEN GEHEN!, die Fünf-Prozent-Sperrklausel gegen weltfremde Richter verteidigen und die Drei-Prozent-Hürde für Europa notfalls über eine Grundgesetzänderung wieder einführen, zumal die meisten europäischen Länder über eine Sperrklausel verfügen.  

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert