Memorial in Gefahr

Kolumne 4. Dezember 2014

Wer in der Zeit der Stalinherrschaft und des großen Terrors als „ausländischer Agent“ gebrandmarkt wurde, hatte nicht mehr lange zu leben oder es erwartete ihn eine lange Lagerhaft. Das prägte sich tief in der kollektiven sowjetischen Erinnerung ein. Man wird es vor zwei Jahren gut bedacht haben, als einige Nichtregierungsorganisationen von der russischen Justiz verpflichtet wurden, sich ins Register „ausländischer Agenten“ eintragen zu lassen. Wer finanzielle Unterstützung aus dem Ausland bezieht, wie zum Beispiel die Böll-Stiftung in Moskau, wer verdächtigt wird, politische Absichten zu verfolgen, und sei es das hehre Ziel, die Zivilgesellschaft zu stärken, der sollte seitdem auf alles gefasst sein.

Noch bleibt es bei der Drohung, doch wann staatliche Regulierung in Repression umschlägt, wann der für seine Diffamierungen und Lügen bekannte einflussreiche private Fernsehsender NTW zur Jagd hetzt, das ist dann nur eine Frage der Zeit und der fortschreitenden politischen Willkür.

Die bedeutende russische Menschenrechtsorganisation Memorial erlebt gerade eine solche Kampagne, die ihre zahlreichen Gruppen und Mitglieder einschüchtern soll. Das Justizministerium teilte mit, es zweifle die Rechtmäßigkeit der Organisationsstruktur an und der Oberste Gerichtshof in Moskau hat einen neuen Termin zur Verhandlung auf den 17. Dezember festgesetzt. Memorial wurde 1988 als Gesellschaft für historische Aufklärung, Menschenrechte und Fürsorge gegründet. Sergej Kowaljow, hatte bereits zwei Jahrzehnte zuvor eine Initiativgruppe für den Schutz der Menschenrechte in der UdSSR gebildet – mit dem hohen persönlichen Risiko des politischen Dissidenten. Memorial hat inzwischen ein gewaltiges historisches Archiv geschaffen, das die Namen von weit über einer Million verfolgter Personen enthält sowie zehntausende Lebensberichte und Dokumente über die Zeit der großen Terrorwellen. Die Organisation hat sich inzwischen in ein weitgefächertes Netzwerk verwandelt, neben einer international agierenden Organisation gibt es mehr als 60 russische Verbände in verschiedenen Regionen, die vor zwanzig Jahren einen Dachverband gegründet haben. Der könnte nun mit einem Rechtsakt zerschlagen werden.

Dem Sender NTW war dies willkommener Anlass, die ganz großen Propagandaknüppel mit der Verleumdung zum Einsatz zu bringen, Memorial unterstütze Extremisten und islamistische Terroristen. Somit sei gerechtfertigt, dass die russischen Justizbehörden alles unternehmen, um die Organisation zu liquidieren. Mit dieser Kampagne der Diffamierung soll den „ausländischen Agenten“ der Kampf angesagt werden. Die journalistischen Hilfstruppen der Scharfmacher hoffen so,  eine Stimmung des Hasses und der Unterstellung gegen alle Menschenrechtsorganisationen zu schüren. Denn man wird es der Internationalen Gesellschaft Memorial nicht vergessen, dass ihre Mitglieder Putin aufgefordert haben, unverzüglich die Aggression gegen die Ukraine zu beenden. Sie forderten von den russischen Behörden, Fälle von Gewaltanwendung und Einschüchterung gegen Zivilpersonen, die sich an der Antikriegsbewegung beteiligt haben, zu untersuchen. Die Leiter der russischen Fernsehkanäle forderte Memorial auf, die aggressive Hass-Propaganda zu beenden. 

Arseni Roginski, Gründungsmitglied von Memorial, ist kämpferisch gestimmt und unverzagt. Eine Klage beim Verfassungsgericht sei nur der erste Schritt, kündigte er kürzlich an.

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