Kolumne 24. April 2014
Es ist eigenartig: Vier Wochen vor einer so wichtigen Wahl so wenig Spannung. Am interessantesten könnte noch werden, ob sich, gemessen an der letzten Europawahl, mehr als 43% der Deutschen, mehr als ein Drittel der Briten oder ein Viertel der Polen entschließen kann, seine Stimme abzugeben. Das wäre immerhin ein Zeichen für eine gestiegene Akzeptanz des Europäischen Parlaments, dessen rund 750 Abgeordneten man medial nur selten begegnet.
Mit Jean-Claude Juncker und Martin Schulz gibt es diesmal immerhin zwei leibhaftige und respektable Spitzenkandidaten, die für Europa brennen. Aber genügt das schon, um das Wahlvolk für die einzige direkt gewählte supranationale Institution zu begeistern? Es ist viel zu wenigen Bürgern bewusst, wie stark dieses Parlament in die Gesetzgebung bereits eingreift, da in den Mitgliedsländern nur noch wenig autonom und ohne Rücksicht auf Brüsseler Verträge Gesetz wird.
Eigentlich sollte das zur Harmonisierung einer wachsenden europäischen Gemeinschaft beitragen, doch kann diese Machtverschiebung auch leicht dazu dienen, den Europagegnern, den Nationalisten und Rechtsextremisten den Sprengstoff zu liefern, mit dem sie den Laden jetzt implodieren lassen wollen. Von Front National bis Jobbik ist Europa durchzogen von einem Netz unterschiedlich organisierter und motivierter, sich aber in der Ablehnung einig zeigender Gegner der EU. Feststeht, dass jede Stimme, die den Christ- und Sozialdemokraten, den Linken, den Liberalen und den Grünen fehlt, das europafeindliche Potenzial stärkt und mit provozierenden Auftritten die Arbeit des Parlaments erschwert. Denn es geht Rechtsextremen und Nationalisten nunmal nicht um Opposition als existenzieller Bestandteil der Demokratie, sondern um Hass und Propaganda, wenn sie in das parlamentarische Gefüge eindringen und sich durch Immunität geschützt wie Wildsäue im Gemüsebeet aufführen. Das Auftreten der NPD im sächsischen Landtag ist noch matt in Erinnerung, das der gewalttätigen Goldenen Morgenröte in Griechenland schon etwas schärfer.
Jeder, dem etwas an einem starken Europa liegt, sollte den demokratischen Parteien in diesem Parlament seine Stimme geben. Bei aller berechtigten Kritik an der Brüsseler Bürokratie, bei allen Vorbehalten, die eine Europa-Politik verdient, die einen erheblichen Anteil an den neoliberalen Auswüchsen der Wirtschafts- und Finanzkrise sowie an der massiven Umverteilung von unten nach oben hatte – es gibt keinen vernünftigeren Weg, als die europäische Integration.
Die Krise der Europäischen Union ist indes nicht zu leugnen. Sollte es nicht gelingen, die besonders in Südeuropa vorherrschende Jugendarbeitslosigkeit einzudämmen, wird die nächste Generation einfach abgehängt. Die faszinierende Idee eines gemeinsamen Europas kann so nicht bestehen. Deshalb muss das Mandat für die europäischen Abgeordneten gleich welcher demokratischen Partei mit der Forderung verbunden sein, sich für eine Politik der sozialen Verantwortung einzusetzen. Denn die Freiheit Europas wird auch in Griechenland und Portugal verteidigt, wenn es gelingt, Banken und Vermögen in die Finanzierung öffentlicher Schulden und Haushalte einzubeziehen, wenn Europäische Union für alle ihre Bürger gleichbedeutend ist mit dem Begriff einer sozialen Union.
Die EU steht mitten in entscheidenden Verhandlungen um ein Freihandelsabkommen mit den USA. Für die Demokratie steht viel auf dem Spiel. Auch deshalb ist diese Wahl wichtig.