Kolumne vom 17.10.2016
Ungarns führender Rechtskonservativer Viktor Orban ist in einer komfortablen Lage. Er kann sagen und tun was er will, das demokratische Europa protestiert kurz – und schweigt. Er weiß inzwischen, dass die Empörung in Brüssel einen kurzen Atem hat. Selbst das durch massenhafte Abstimmungsverweigerung gescheiterte Referendum zur EU-Flüchtlingspolitik war für ihn keine schwere politische Niederlage. Er kann sich der weiteren Unterstützung durch polnische, tschechische und slowakische Politiker gewiss sein und die Niederlage zum Erfolg umlügen.
Nun der nächste Schlag, diesmal gegen die Reste der immer noch die Orbansche Demokratur attackierenden Vertreter der Pressefreiheit. Da hat vor zwei Wochen die gesamte Redaktionsmannschaft der einzig verbliebenen oppositionellen Tageszeitung „Népszabadsag“ die Schreibtische geleert, Akten, Archiv und Computer samt Speichermedien in Umzugskisten verpackt, um in ein neues Haus zu wechseln. Genau in diesem Moment der „freiwilligen Räumung“ erfahren die Redakteure, dass es ihre Zeitung samt Onlineauftritt nicht mehr geben wird. Es war nichts anderes als ein Putsch von oben. Natürlich hat die Orban Partei FIDESZ saubere Finger. „Alles unpolitisch“, wird den Protestierenden erklärt. Die Gründe seien allein sinkende Auflagen und wirtschaftlicher Misserfolg, der die Muttergesellschaft Mediaworks in Wien veranlasst habe, den Laden zu schließen, als würde es sich um einen Dorfkonsum und nicht um einen der letzten Garanten ungarischer Pressefreiheit handeln. Mediaworks gehört der österreichischen Investmentfirma VCP (Vienna Capital Partners), was eher Assoziationen an einen Hedgefonds als an ein verantwortungsbewußtes Medienunternehmen weckt.
Hintergrund der durchaus vorhandenen Finanzprobleme der Zeitung sind seit Jahren auch die Auswirkungen einer durch die Politik verfügten Werbeblockade. Firmen, die staatliche Aufträge erhoffen, haben das Nachsehen, wenn sie in einem Oppositionsblatt Anzeigen schalten. Treue Vasallen werden hingegen begünstigt. „Staatliche Werbung wird in Ungarn als Waffe gegen kritischen Journalismus eingesetzt“, sagte der gefeuerte Vizechefredakteur Márton Gergely dem Wiener „STANDARD“.
Jetzt wächst der Verdacht, dass mehrere ungarische Medien, die in letzter Zeit von Springer, Ringier und der Funke-Gruppe an die VCP verkauft wurden, dort nur zwischengeparkt sind, um einem regierungstreuen Oligarchen in Budapest zuzufallen. Es sei auffällig gewesen, dass alle Wettbewerbsprüfungen für die Übernahme in nur zwei Wochen über die Bühne gegangen sind. Angeblich steht schon ein Schulkamerad und enger Vertrauter Orbans bereit, die Medienholding zu übernehmen. Österreichische Politiker sind auffällig uninteressiert, gegen diesen über Wien abgewickelten Deal zu protestieren.
Das ungarische Mediengesetz erregte vor ein paar Jahren noch die EU-Gremien. Orban hat gelernt, wie Gleichschaltung auch lautloser vollzogen werden kann.
Wenn die rechtsradikalen Jobbik’s sich auch eines Tages dieser Tricks bedienen sollten, dann Gute Nacht, Ungarn.
Am Sonntag demonstrierten tausende Budapester gegen die Schließung der Zeitung. Es war ein spontaner Protest gegen die nun übermächtig werdende Regierungspropaganda in den Medien. Zur Erinnerung: Eine Forderung des ungarischen Volksaufstands, der am 23. Oktober 1956 begann, war die Gewährung der Pressefreiheit. Ob Seehofer seinen Gast Orban vor einigen Tagen an dieses demokratische Grundrecht erinnert hat, möchte ich bezweifeln.