Kolumne vom 29.12.2016
„Auf dem Weg zum Abgrund kann eine Panne lebensrettend sein“, habe ich von Walter Jens als gern zitierten Spruch in Erinnerung. Lasse ich die Abgründe des letzten Jahres noch einmal Revue passieren, frage ich mich, wo denn die hilfreichen Pannen waren.
War es vielleicht Donald Trumps Sieg? Als lebensrettendes Signal über den Atlantik, weil den Europäern jetzt die Augen aufgehen werden, dass sie als Wähler mit ihrem Votum für Wilders, Le Pen, die FPÖ und die AFD das ganze politische Gefüge der EU aus den Angeln heben könnten? Also, ich habe meine Zweifel, was die pädagogische Pannenwirkung betrifft.
„Wir erkennen gerade, dass die Demokratie kein Selbstläufer ist“, dass wir unsere Institutionen ständig erneuern müssen, und „dass die Vereinigten Staaten, solange sie nicht imstande sind, ihr politisches System in Ordnung zu bringen, darauf verzichten sollten, der Welt demokratische Werte zu predigen.“ Das sagte der amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama bereits im März in einem ZEIT-Interview. Einen möglichen Trump-Sieg wollte er schon damals, als man sich hierzulande noch über den Polit-Hooligan vor Lachen die Bäuche hielt, nicht ganz ausschließen.
Und wenn wir das Pannenbild weiter strapazieren wollen – dann Vorsicht vor den Pannenhelfern, die versprechen, sie würden das Fahrzeug schon wieder flott machen, damit wir das abgründige Ziel nicht verfehlen. Sie kommen in virtueller Gestalt, verkleidet als Social Media und Fakebook (oder Facebook – die Grenzen sind fließend), geben in Blogs unzählige Ratschläge und Reparaturhinweise dass einem der Schädel brummt und verdammen jeden, der eine andere als allein ihre richtige Wahrheit propagiert.
Viele, die Rat und Hilfe suchen, merken nicht, dass es einzig darum geht, die Karre in den Abgrund zu schicken, oder wenigstens in den Dreck zu fahren, statt sie auf sichere Straßen zu navigieren. Internetportale breiten sich aus, die uns Nachrichten aus dem rechten Paralleluniversum senden. Sie nennen sich „Political incorrect“, „Opposition24“, „Contra Magazin“, „Compact“ … jeder Versuch einer umfassenden Aufzählung sprengt den Rahmen einer Kolumne. Sie nehmen für sich die „absolute Pressefreiheit“ in Anspruch, bezeichnen sich als „kritisches Sprachrohr“ für ein „freies pluralistisches Europa“, weshalb schon mal eine Redaktionsadresse auf den Seychellen und der Server in Uruguay zu finden ist. Eine reine Vorsichtsmaßnahme, falls Hasspropaganda oder diffamierende Lügen mal justiziabel werden könnten. Als ob es noch nicht genug davon gäbe, haben wir demnächst auch die Nachrichten- und Meinungswebsite „Breitbart“ in deutscher Sprache auf dem Monitor – Grüße aus Amerika vom Rassisten und Rechtsradikalen Steve Bannon, dem vormaligen Breitbart-Chef und neu ernannten Chefstrategen im Trump-Tower, demnächst, wenn nichts dazwischen kommt, im Weißen Haus. Mal sehen, wer aus der deutschen Wirtschaft nichts dagegen hat, dass für seine Produkte in diesem Lügen- und Hassgenerator geworben wird. Breitbart, mit mehr als 30 Millionen Seitenaufrufen pro Monat besonders stark frequentiert, wird vor allem über Werbung finanziert und hat Kellogs gerade den Krieg erklärt, weil die Kornflakesfirma, um ihren guten Ruf besorgt, alle Werbeverträge gestoppt hat. Inzwischen verzichtet übrigens auch BMW auf diesen Werbekanal – also wurde noch rechtzeitig gebremst vor dem Abgrund. Hoffentlich bewerten das einige in der Chefetage nicht als Panne, wenn Breitbart auch in Deutschland mal richtig erfolgreich wird.
Der Text von Klaus Staeck erschien am 29.12.2016 in der Berliner Zeitung und in der Frankfurter Rundschau