CSU und Viktor Orban
Horst Seehofers ungarischer Freund Viktor Orban droht, die nächste Wahl zu gewinnen. Das hat Orbans Gegner zu Hause auf eine ziemlich riskante Idee gebracht. Kolumne vom 10.1.2018
Als sich vor knapp einer Woche in Kloster Seeon die Ministerpräsidenten Bayerns und Ungarns herzlich begrüßten, da begegneten sich nicht nur Brüder im Geiste, sondern auch zwei Wahlkampfhelfer. Im April stehen in Ungarn Parlamentswahlen an, im Herbst bekanntlich Landtagswahlen in Bayern. Bei beiden geht es um die absolute Mehrheit und da ist jedes Mittel recht.
„2018 wird das Jahr der Wiederherstellung des Volkswillens“, sagt Viktor Orban, der Propagandist einer „nationalen Revolution“ Ungarns, und genießt die demonstrative internationale Reputation durch die CSU, deren Mitglieder er schon mal seine „einzigartigen Waffenbrüder“ nannte.
Die martialische Wortwahl wurde in Seeon erweitert: „Betrachten Sie mich weiterhin als ihren Grenzschutzkapitän!“. Da hätte CSU-Vize Manfred Weber auch seinen Satz nach dem CSU-Debakel der letzten Bundestagswahl wiederholen können, wonach man jetzt die Kampfanzüge anzulegen habe, oder seine jüngste assoziationsreiche Äußerung zur „finalen Lösung der Flüchtlingsfrage“.
So viel militärisches Wortgerassel scheint nötig zu sein, um in der rechten Ecke Bayerns die Stimmen wieder einzufangen, die an die AfD verloren gingen. Fast könnte man auf die Idee kommen, die Bayern wollten von den Ungarn noch einiges über die „illiberale Demokratie“ lernen, denn kein Wort der Kritik war zu hören über die fortschreitende Entmachtung des Verfassungsgerichts in Ungarn, die totale Kontrolle staatlicher Medien und die zunehmende Einschränkung der Freiheit von Wissenschaft und Justiz. Auch die jüngst von der EU eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren oder die antisemitische Anti-Soros-Kampagne waren Tabuthemen, weil für Seehofer Orban „zweifelsfrei auf dem Boden rechtsstaatlicher Grundsätze“ steht.
Bei aller Toleranz für bajuwarische Politikfolklore verstört dies nicht nur hierzulande. Der ungarisch-österreichische Journalist Paul Lendvai sieht in der Hofierung Orbans durch die CSU eine Verhöhnung der EU-Beschlüsse und Wahlkampfhilfe für eine „konsolidierte Kleptokratie“. Noch entsetzter dürften die ungarischen Oppositionellen über das bayerische Wahlgeschenk sein.
Vor sechs Jahren beschwor die Philosophin Agnes Heller ihre Landsleute, sich endlich zu einer Oppositionsbewegung zusammenzufinden, die sich dem antidemokratischen Bonapartismus Orbans geeint entgegensetzt. Weil daraus nichts geworden ist und sich die linken und liberalen Parteien immer weiter marginalisierten, gehen Heller und einige ihrer Weggefährten nun einen unberechenbaren Weg. Da es in der jetzigen Situation nur darauf ankomme, einen Sieg von Orbans Partei Fidesz zu verhindern, solle man sich auf ein zeitweiliges Arrangement mit der rechtsextremen Jobbik einlassen, um in den Wahlkreisen einen gemeinsamen aussichtsreichen Kandidaten gegen die Regierungspartei durchzusetzen.
Wie verzweifelt muss die ungarische Opposition sein, wenn sie zur Wiederherstellung der Demokratie ausgerechnet die taktische Hilfestellung der Ultrarechten in Erwägung zieht?
Agnes Heller wird Brechts Mahnung des Feldgeistlichen an Mutter Courage kennen: „Wer mit dem Teufel frühstücken will, muss einen langen Löffel haben.“ Mutter Courage meinte, der Löffel sei lang genug, sich nicht zu verbrennen. Aber er konnte nie lang genug sein, um unversehrt aus dem heißen Topf der Hölle essen zu können.
Die Kolumne erschien am 10.1.2018 zeitgleich in der Berliner Zeitung und in der Frankfurter Rundschau.