Der Fall des AfD-Mitglieds Kalbitz zeigt: Die Demokratie weiß sich noch zu wehren. Kolumne vom 25.06.2020
Als vor einigen Tagen der Parteiausschluss des Brandenburger AfD-Funktionärs Andreas Kalbitz durch ein Urteil des Berliner Landgerichts aufgehoben wurde, da mag mancher „Normalbürger“ – also Nicht-Jurist – daran gezweifelt haben, in welchem Staat er lebt. Auch der Hinweis auf eine rein verfahrensrechtliche Entscheidung zur Zuständigkeit des Parteiengesetzes wird den Laien kaum überzeugen.
Schließlich hatte der Parteivorsitzende Jörg Meuthen wenigstens für einen Moment eine knappe Mehrheit im Bundesvorstand für den Rauswurf des Vertreters vom braunsten Teil des einstigen „Flügels“ auf seine Seite bringen können. Aber, so das klare Urteil der Kammer, nur ein Parteien-Schiedsgericht ist entscheidungsbefugt und bis zu dessen Befund über das verschwiegene Neonazivorleben des Delinquenten darf dieser sich weiter als Mitglied betrachten.
Somit gilt Rechtsschutz für Kalbitz wegen eines Verfahrensfehlers. Seine Reaktion: „Ich freue mich über diese rechtsstaatliche Entscheidung.“ Der Hohn des Flügelmanns, dessen Landesverband seit vergangener Woche vom Verfassungsschutz observiert wird, darf uns den Blick nicht darauf verstellen, dass es zu den ehernen Pflichten einer Demokratie gehört, den Bürgern Rechtssicherheit zu gewähren. Ohne Ansehen der Person, ihres Glaubens, ihrer Ideologie. Davon profitiert auch jemand, der sich noch vor ein paar Jahren in Lederhosen in einem Lager der „Heimattreuen Deutschen Jugend“ fotografieren ließ und abstreitet, deren registriertes Mitglied gewesen zu sein.
Meuthen hatte mit der Aktion gegen Kalbitz hoch gepokert. Er glaubt, einen eher bürgerlich-rechtsnationalen Teil der AfD zu repräsentieren – im Gegensatz zu den Krawallbrüdern vom Schlage Björn Höckes und Stephan Brandners, die im deutschen Osten, wohlwollend geduldet von Alexander Gauland und Alice Weidel, das Bild der Partei prägen.
Aber Meuthens Versuch, Kalbitz auf juristischem Wege loszuwerden statt in der Partei die offene politische Auseinandersetzung zwischen den stramm Rechtskonservativen und den rechtsextremen Demokratiefeinden zu wagen, musste scheitern. Trotz aller Beteuerungen vom vergangenen Samstag, Meuthen habe das Vertrauen von mehr als 50 Prozent der Konvent-Teilnehmer, scheint seine Isolation nur eine Frage der Zeit zu sein.
Die Partei ist längst auf einem Weg, der von Scharfmachern bestimmt wird, die auf strikte Radikalisierung setzen. Man sollte Kalbitz’ militantes Statement nicht vergessen, die AfD sei die „letzte evolutionäre Chance für dieses Land“. Danach käme nur noch „Helm auf!“
Die angebliche Selbstauflösung des „Flügels“ war eine kaum getarnte Finte der beiden Führungsfiguren. Damit wurden weder rechtsradikale Einstellungen noch personelle Verflechtungen zu anderen extremistischen Gruppierungen wie zum bereits vom Verfassungsschutz beobachteten Verein „Zukunft Heimat“ aufgegeben. Diese Netzwerke bestimmen die Struktur der Partei, nicht die scheinheiligen Bekenntnisse, Teil der pluralistischen Demokratie zu sein. Deshalb ist es angemessen und entspricht es den Prinzipien des Rechtsstaates, die von den Flügel-Protagonisten geführten Landesverbände als Verdachtsfälle einzustufen.
Bleibt nur noch die Hoffnung auf Verfassungsschützer, die den Ernst der Lage begreifen. Die erste Wutreaktion von Kalbitz, der einen Höhepunkt der „politischen Instrumentalisierung des Inlandsgeheimdienstes gegen die demokratisch gewählte Opposition“ beschwört und von Gauland sekundiert wird, zeigt, dass die Demokratie sich noch zu wehren weiß.
Die Kolumne erschien am 25.06.2020 in der Berliner Zeitung und in der Frankfurter Rundschau.