Schon vor mehreren Jahren warnte der Moskauer Künstler Andrej Jerofejew vor einer radikalisierten Sprache in Russland. Die begegnet uns jetzt täglich. Kolumne vom 10.03.2022.
Es ist zwölf Jahre her, da hielt der Moskauer Kunsthistoriker und Kurator Andrej Jerofejew in der Berliner Akademie der Künste eine bedrückende Rede. Er sprach von der Lebenskraft einer faschistoiden Sprache in seinem Land, die einen fruchtbaren Boden für Attacken auf die Kunst bereitet hatte. Im Unterschied zu dem von der sowjetischen Demagogie völlig entwerteten demokratisch liberalen Diskurs blühe der faschistische Diskurs der Gewalt und der militaristischen Formen der Verwaltung der Gesellschaft. Sowohl die Kirche als auch der Staat sprächen in einer Sprache der Ultrarechten, die ihnen Kraft und Überlegenheit gebe.
Das war starker Tobak, und mancher der anwesenden Akademiemitglieder hielt das wohl eher für eine persönliche Abrechnung mit einem System, das dem Ausstellungsmacher wegen Blasphemie und antirussischer Propaganda gerade drei Jahre Lagerhaft angedroht hatte, als für eine realistische Beschreibung der Wirklichkeit in einer Diktatur unter dem Zepter des Doppeladlers. Jerofejew hatte sich 2007 mit der Ausstellung „Verbotene Kunst“ mit der russisch-orthodoxen Kirche angelegt, und die damaligen Prozessbesucher:innen verlangten kategorisch die „Vernichtung der Bilder“. Der Entlassung als Chefkurator für moderne Kunst an der staatlichen Tretjakow-Galerie folgte der lange Prozess, da sich der Verstoß gegen religiöse und politische Tabus äußerst wirksam zu populistischer Aufstachelung des Volkszorns nutzen ließ.
Den Mächtigen gefiel das, so sagte es Jerofejew, weil der russische Staat schon auf dem besten Wege zu einer theokratischen Diktatur fundamentalistischer Ausrichtung war. Der Staat opferte berechnend die Kultur, „die Beamten lieferten zur Rettung der großen Politik und Wirtschaft den Ultrarechten die Kultur aus, auf dass sie sie zerreißen“. Hatten wir Jerofejew mit seiner Beschreibung einer Radikalisierung der russischen Gesellschaft damals verstanden und ernst genommen, oder kam uns das gar zu alarmistisch vor?
Nun begegnet uns diese Sprache der russischen Machthaber seit dem Überfall auf das „ukrainische Brudervolk“ täglich in den Medien. Es ist die Sprache des Krieges, der Lügen, Entstellungen, Täuschungen. Der einstige KGB-Offizier Wladimir Putin zeigt uns und der Welt das ganze Arsenal psychologischer Kampfmittel. Doch sie sind nur die Begleitung zum eigentlichen Kriegsverbrechen eines militärischen Überfalls, zur Tötung von Frauen und Kindern, zur Zerstörung von Wohnhäusern und Infrastruktur in der Ukraine.
Andrej Jerofejew hat sich wieder zu Wort gemeldet, als Initiator einer Erklärung der russischen Kunstszene, in der es heißt, es reiche nicht, „Kein Krieg!“ zu proklamieren. „Wir treten für einen sofortigen Rücktritt von Wladimir Putin als Präsident der Russischen Föderation ein: Geht Putin, hört der Krieg auf. Bleibt Putin, geht die Abschlachterei weiter.“
Die Unterzeichner des Aufrufs werden bereits bedroht. Wer das Wort „Krieg“ benutzt, der kann zu bis zu 15 Jahren Lagerhaft verurteilt werden. Andrej Jerofejew braucht jetzt unsere Solidarität, so wie alle Bürger Russlands, die den Mut zum Protest haben. Damit ihr Leben geschützt wird, sind sie auf internationale Aufmerksamkeit angewiesen. Der Krieg gegen die Ukraine muss schnellstens enden, um Menschenleben zu schützen. Die Unterdrückung der russischen Oppositionellen muss enden, damit das Land in naher Zukunft wieder von der Völkergemeinschaft geachtet werden kann.
Die Kolumne erschien am 10.03.2022 in der Frankfurter Rundschau.
Eine kluge Stimme und richtige Sichtweise inmitten des Aufrüstungsgeschreis, das gerade allerorten zu hören ist. Die Unterstützung der russischen Oppositionellen durch Politik und Medien halte auch ich für essentiell wichtig zur Beendigung dieses schrecklichen Krieges. Ich hoffe darauf!