Radio-Jubiläen

Kolumne vom 19.10.2023

Auf allen Sendern wird gerade an die deutsche Radiogeschichte erinnert. Sie begann am 29. Oktober vor 100 Jahren im Berliner Haus der Schallplattenfirma VOX, das zehn Jahre nach dem Mauerbau abgerissen wurde, wohl weil es auf der Westseite zu dicht an diesem Monstrum stand. Man dachte damals eher an die autogerechte Stadt und vieles was kriegsversehrt im Wege war, wie das VOX-Haus, verschwand. 

Wer im Gründungsjahr des öffentlichen Radios, das laut Lizenzantrag der „drahtlosen Belehrung und Unterhaltung“ dienen sollte, auf Empfang ging, mußte zunächst einen Antennendraht von maximal 50 Metern zwischen den Schornsteinen spannen. Länger durfte er nicht sein, sonst wären Tüftler in der Lage gewesen, an der Staatsgewalt vorbei, selbst zu senden.

Rundfunkpionier Hans Bredow hatte schon als Nachrichtenoffizier an der Westfront Programme für die Truppenbetreuung irgendwie zum Hören gebracht. Nun, aufgestiegen zum Reichsrundfunk-Kommissar lautete seine Botschaft, der Rundfunk solle „Erhöhung, Unterhaltung und Abwechslung“ vermitteln, um von den Sorgen des Alltags abzulenken, denn „ein freudloses Volk wird arbeitsunlustig“.

Wenige Jahre nach dem Start luden die Sektion Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste und die Reichs-Rundfunk-Gesellschaft zu einer ersten Arbeitstagung, „Dichtung und Rundfunk“, ein. Denn schon 1929 zeichnete sich ab, welches künstlerische Potential das neue Medium haben könnte. Dichterlesungen, Gespräche, bearbeitete Bühnenstücke, erste Hörspiele und nicht zuletzt die Musik wurden zu Vorläufern unseres heutigen Kulturradios. Doch es dauerte nur ein Jahrzehnt, bis die revolutionären Rundfunk-Ideen von Alfred Döblin, Brecht, Weill, all den späteren Exilanten oder den zum Schweigen verurteilten Radiopionieren, der Goebbels-Propaganda weichen mußten. 

Im Berliner Studio des Deutschlandfunk Kultur. Aufnahme zur „Langen Nacht“ mit Rainer Burchardt im Juli 2017. Foto Manfred Mayer

Meine lebenslange Leidenschaft Radio zu hören begann noch in Bitterfeld mit den Alliiertensendern AFN und BFN und dem RIAS. Später, schon im Westen, viel gehört der Deutschlandfunk. Dann brachte mich der Mauerfall dazu, mich in deutsch-deutsche Medienpolitik einzumischen, weil dem in Wendezeiten aus der „Stimme der DDR“ und dem Kulturprogramm „Radio DDR II“ entstandenen Deutschlandsender Kultur die Abwicklung drohte. Dabei war ein mehrfach „gegauktes“ kompetentes Personal hungrig darauf, endlich ohne Weisungen aus der Agitationskommission des ZK Programm für die Leute zu machen, die sich im Vereinigungsstrudel zurechtfinden mußten. Unter Leitung des politisch erfahrenen Schweizer Bildhauers Max Bill fand sich ein „Kuratorium DS Kultur“ zusammen, das den Überlebenskampf wortgewaltig und mit einer Vielzahl von Ost- und West-Personal aus Politik und den Künsten unterstützte. Der inzwischen feste Hörerkreis eines Kultursenders war der lebendige Beweis, dass privater Dudelfunk mit wenigen journalistischen Einsprengseln nicht die einzig denkbare Alternative für das Radio der Wendezeit war.

Wir sahen im Erhalt von DS-Kultur nicht nur eine Notwendigkeit, um den neuen Bundesbürgern institutionell ein eigenes Sprachrohr zu garantieren sondern vor allem eine Chance, um wenigstens ein Stück Gleichberechtigung im schwierigen Einigungsprozess zu schaffen. Vielleicht war DS Kultur ein Übungsplatz für die zu erwartenden Streitigkeiten zwischen den Ost-West-Mentalitäten und dem daraus entstehenden Konfliktpotential. Vor nunmehr 30 Jahren, zum Jahresende 1993, hatte endlich auch Thüringen den Staatsvertrag zur Gründung von DeutschlandRadio mit zwei bundesweiten Programmen ratifiziert. An dieses Jubiläum sollte ebenso erinnert werden.

Die Kolumne erschien am 18.10.2023 online, am 19.10. gedruckt in der Frankfurter Rundschau.

Ein Gedanke zu „Radio-Jubiläen“

  1. Ich erlaube mir, an das Jugendradio der DDR „dt64“ zu erinnern. Es begleitete mich in meinem Teil der vergangenen hundert Jahre als wunderbare Alternative zum Bayerischen Rundfunk durch meine Studienjahre in Coburg. Abgeschaltet wurde dt64 am 31.12.1992. Ich war damals, per Telefon aus dem Zonenrandgebiets in Bayern live „on air“. Einigen Hörern und Hörerinnen sowie den Moderatoren wird vermutlich die „Rückkopplung“ (verursacht durch Mitschnitt der Sendung) unvergessen bleiben. Praktisch jedes Jahr an Sylvester werde ich an dieses Ende qualitätvollen Radios (mitten aus der DDR) erinnert.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert