Kolumne vom 16.11.2023
Das Aufatmen war am Sonntagabend weit über den brandenburgischen Landkreis Dahme-Spreewald zu hören. Die Wahl eines AfD-Landrats hatte ein Bündnis demokratischer Kräfte gerade noch verhindert. Nicht allein, dass dieser Landesverband der Höcke-Weidel-Partei seit 2020 als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft wird – Kandidat Kotré hätte alle Hoffnungen der Ultrarechten wohl noch übertroffen. Seine Verbindungen ins Holocaustleugner-Lager, seine Sympathien für Horst Mahler, sein Auftritt in einer russischen Propaganda-TV-Show, das alles war selbst einigen seiner Kumpane und Bundestagskollegen der Zeit noch etwas voraus.
Am letzten Wochenende hatte die Berliner Akademie der Künste zu ihrer Mitgliederversammlung Thomas Krüger, den Präsidenten der Bundeszentrale für politische Bildung, eingeladen. Er war gebeten worden, aus seiner langjährigen Erfahrung über Ursachen von Rechtsradikalismus und die Mobilisierung des rechten Rands der Gesellschaft durch die AfD zu reden und zu einer Analyse beizutragen. Die Akademie hat, das darf ich mir auch meiner neunjährigen Mitarbeit als Präsident zugute halten, stets nicht nur die Lage zwischen Anklam und Bitterfeld beobachtet sondern ist dank meiner Mitstreiterinnen oft auch vor Ort gewesen, um jungen Leuten zu zeigen, dass wir sie mit unseren Angeboten ernst nehmen. Dort, wo sich sonst kaum jemand blicken ließ, wenn Ausfälle nicht nur in den musischen Fächern verkraftbar erschienen, kamen und kommen immer noch Mitglieder der Akademie in Schulen und Jugendeinrichtungen zu einer Art symbolischer Nachhilfe. Thomas Krüger war dabei immer ein wichtiger Partner.
Aber was kann eine Akademie schon leisten, wenn sich die Stimmung im Lande so dramatisch verändert, wenn der Einfluss traditioneller Volksparteien weiter schrumpft, die rechten „Alternativen“ im Osten auf Wählervoten weit über 30 Prozent hoffen können und der Radikalismus geradezu gesellschaftskonform wird. Wie soll man es sonst bezeichnen, wenn zwei Lehrer aus ihrer Schule in der Spreewaldgemeinde Burg regelrecht vertrieben werden, weil ihre Kollegen deren Protest gegen die Hitlergrüße einiger Schüler lieber tolerieren statt Solidarität zu zeigen?
Krüger sieht auch eine Ursache in der Macht polarisierender sozialer Medien, dass sich der Zulauf zum extremen rechten Rand in den letzten Jahren nahezu verdreifacht hat. Die Affektgetriebenheit dieser Beschleunigungsmaschine der öffentlichen Meinung wird mit Aufmerksamkeit belohnt und es fehlt an vielen Schulen Medienbildung und die Befähigung zur kritischen Auseinandersetzung. Aus diesem Manko kann die rechte Partei ihre Vorteile ziehen, weil sie Verschwörungserzählungen leichter verbreiten kann, aus der Migration entstehende Belastungen zu einer „Umvolkung“ dämonisiert und das Gefühl sozialer Ungerechtigkeit für ihre Propaganda nutzen kann, sie sei die Partei, die sich um die Sorgen der Leute kümmere. Der Diskurs der Ungleichheit, wonach 63 % in den östlichen Bundesländern das Auseinanderdriften von Arm und Reich immer noch als größtes Problem eines Gerechtigkeitsdefizits ansehen, biete einen Ansatzpunkt für das Misstrauen in die Fähigkeit der traditionellen Parteien, zu einer Lösung beizutragen. Wir, sagt Krüger, müßten uns empathischer auf die Teile in der Gesellschaft zubewegen, die wir nicht repräsentieren. Und mit Wählern der AfD – nicht mit den Höckes – müsse man streiten, bevor sie sich in ihre Märtyrerrolle flüchten können. Ein Verbot der Partei würde jedenfalls keine Lösung bringen.
Die Kolumne erschien am 15.11.2023 in der Frankfurter Rundschau (online) und am 16.11. in der gedruckten Ausgabe.
Dem o. g. Fazit „Ein Verbot der Partei würde jedenfalls keine Lösung bringen.“ kann ich nicht zustimmen. Es ist reine Spekulation. Man betrachte frühere Verbote von Parteien der Nachkriegszeit und wo diese nun öffentlichkeitswirksam sind…
Ich frage mich hier, dass „…der Einfluss traditioneller Volksparteien weiter schrumpft,…“ – ist das nicht vor allem der lange absolut mangelnden Präsenz dieser Parteien in den sog. „sozialen Medien“ geschuldet?
Rechtes Gedanken“gut“ gibt es doch, auch nach 1945, überall in Deutschland (und weltweit). Die alten „Stammtischparolen“ werden aber per Internet und digital „aufgehübscht“ viel schneller verbreitet. Übrigens: In Ostdeutschland u n d Westdeutschland gleichermaßen. Einer der Ersten aus den Reihen der traditonellen Volksparteien, die das offenbar begriffen haben, ist vermutlich Dr. Markus Söder.