Die FDP sollte nicht Milei und Musk zu Vorbildern küren. Dazu taugt das Duo nicht mit seinen undemokratischen Tendenzen. Kolumne vom 12.12.2024
Die provokative Aufforderung, wir sollten „mehr Milei und Musk wagen“, werden die Freien Demokraten so bald nicht mehr los. Ich bin nicht der Erste unter den Kommentatoren dieser Lindner-Idee, der mit Willy Brandts Worten antwortet: Mehr Demokratie wagen!
Denn weder Mileis radikaler Sozialabbau noch Musks Wille, sich die Gesellschaft im Gespann mit Trump wie ein allmächtiger Oligarch und Despot untertan zu machen, ist mit demokratischen Traditionen der Bundesrepublik vereinbar. Und die beiden herbeigerufenen „Retter“ einfach mal auf eine effizientere, weniger bürokratische Wirtschaftspolitik, die sie angeblich vertreten, zu reduzieren, ist nichts anderes als bewusste Irreführung.
Als ob Mileis Anarchokapitalismus für Deutschland Vorbildwirkung haben könnte, werden zwei Extremisten in Sachen Verachtung demokratischer Prozesse und rechtsstaatlicher Normen zu Heldenfiguren stilisiert. Eine treffende Karikatur im „Handelsblatt“ zeigt eine Kettensäge, gelb angepinselt.
Es ist erschütternd zu beobachten, wie sich Gerhart Baums und Hans-Dietrich Genschers traditionsreiche Partei so verwandeln konnte, dass sie den Liberalismus, den sie im Namen führt, preiszugeben droht. Sollte sie die Fünf-Prozent-Hürde verfehlen, weil sich die traditionelle FDP-Wählerschaft von einer Partei abwendet, die sie nicht mehr wiedererkennt, dann muss das alle für Demokratie Kämpfenden, zu denen ich mich in über 60-jähriger SPD-Mitgliedschaft zähle, alarmieren. Weil der Verlust dieser einstigen Kraft der Mitte den rechten Rand, die angebliche „Alternative“ noch weiter stärken wird.
Auf der Suche nach aufbauenden, positiv stimmenden Gedanken – dennoch nicht frei von sozialdemokratischer Selbstkritik – las ich die Rede der diesjährigen Willy-Brandt-Lecture von Rolf Mützenich, die er kürzlich in Berlin hielt. Angesichts wachsender Zukunftsängste durch die ins Wanken geratene Sicherheit und Stabilität fragt er, wie eine sozialdemokratische Außenpolitik für das 21. Jahrhundert aussehen könne.
Mützenich fordert zu Recht, dass die Sicherheits- und Friedensforschung zu ihren Ursprüngen zurückfinden müsse, statt zu einer „reinen Politikberatungs- und Talkshow-Maschinerie“ zu werden. Sie müsse langfristige Perspektiven entwickeln, um in einer Welt im Umbruch zu einer multipolaren Ordnung zur Orientierung beizutragen.
Ich lese jetzt immer öfter diskreditierende Äußerungen zur Entspannungspolitik in der Zeit von Brandt und Bahr und wundere mich über die ahistorische bis kenntnislose Position von einigen. Mützenich begründet seine Forderung, diplomatische Bemühungen zu intensivieren, um eine weitere Eskalation des russischen Angriffskriegs zu verhindern, „unabhängig davon, wie ‚realistisch‘ diese derzeit scheinen mögen“, mit einem Vergleich: „Hätten Willy Brandt und Egon Bahr nach dem sowjetischen Einmarsch in die Tschechoslowakei 1968 beschlossen, dass Verhandlungen nun zwecklos seien, hätten wir weder die Entspannungspolitik noch die deutsche und europäische Einigung bekommen.“
Brandts Maxime „Mehr Demokratie wagen“ war die Grundidee dieser Politik des Kampfs für eine gerechtere Weltordnung, der friedlichen Nachbarschaft und zugleich der inneren Reformen, um Bildung, soziale Verantwortung und Freiheit zu garantieren. Nur so konnte auch mit Autokratien glaubwürdig aus einer Position der Stärke verhandelt werden. „Ein in sich gespaltenes und ungerechtes Land kann nach außen nicht überzeugen“, sagte der Friedensforscher und SPD-Fraktionsvorsitzende Mützenich in seiner Lektion.
Die Kolumne erschien am 12.12./13.12.2024 (online/print) in der Frankfurter Rundschau.