Kolumne vom 9. Januar 2025
„Die Tatsachen sehen und nicht verzweifeln.“ Ein Satz, der einen die nächsten zwölf Monate stets begleiten sollte. Er steht für Skepsis und zugleich für die Hoffnung, dass die Situation nicht aussichtslos ist. Ich las diese Zeile vor einigen Tagen als Titel unter einer Graphik, die einen Narren zeigt, der, versehrt mit einer Augenklappe und beinamputiert, mit seinem Bauchladen Brillen anbietet. Ein sarkastisches Apercu für die Zuversicht, die wir so dringend brauchen, wenn wir die Lage in der Welt und in unserer nächsten Nähe im Blick haben, an der wir nicht verzweifeln sollten. Mit dem Blatt wirbt ein Museum im thüringischen Arnstadt für eine Ausstellung des dort geborenen A. Paul Weber – einen der großen deutschen Satiriker unter den Zeichnern und Graphikern des 20. Jahrhunderts. Zwei Jahre vor 33 ließ er einen Mann mit Totenkopf und Hakenkreuzbinde aus einer unübersehbaren Masse von Menschen, die den Hitlergruß zeigen, aufsteigen und salutieren: es ist die visionäre Zeichnung „Hitler – ein deutsches Verhängnis. Das Ende“. Auf einem anderen Blatt in grausamer Voraussicht spielt der Tod auf einem Soldatenfriedhof Cello. Als die Gestapo später Weber in eine Zelle steckte, kaufte er sich mit seiner Kunst frei. Der einstige nationalrevolutionäre Kritiker des Nationalsozialismus, dem die linken Intellektuellen der Weimarer Republik genauso suspekt waren wie der Aufstieg Hitlers, stellte sich nun in den Dienst der Nazipropaganda. In der jungen Bundesrepublik war diese Episode bald vegessen, weil Weber der neuen Wohlstandsgesellschaft oft genug den Narrenspiegel vorhielt und als Kritiker der Remilitarisierung in Erscheinung trat.
Die Biographie eines Künstlers, der mit klarem Blick die Zeichen der Zeit erkannte und doch um den Preis des Überlebens die Seite wechselte. Eine tragische Gestalt?
Was werden Künstler und schreibende Gesellschaftskritiker in den nächsten Jahren erleben, wenn sich die Machtverhältnisse zugunsten größenwahnsinniger Milliardäre verändern, die schrankenlos über die digitalen Massenmedien verfügen? Gerade hat sich mit Mark Zuckerberg einer der Exponenten dieser Plattformen, entschieden, auf Moderation und Prüfung der Fakten, die verbreitet werden, zu verzichten. Statt freier Meinungsäußerung wird der Lüge und Manipulation der Weg bereitet. Wenn die öffentlichen Wege zur Verbreitung der Information aber in die Hände einiger weniger Exponenten geraten, die ihre Macht skrupellos und eigennützig gebrauchen, droht der Demokratie großer Schaden, weil von Debattenkultur keine Rede mehr sein wird. Das gilt weltweit wie auch für unsere deutsche Lage an der Propagandafront. Auf der einen Seite die russische Desinformation, die über RT DE als wirksames Propagandamedium im Internet eine treue deutsche Gefolgschaft findet. Auf der anderen Seite die groteske Wahlkampfhilfe für die „alternative“ Rechtsaußenpartei durch einen in seiner neuen Machtfülle zunehmend irrer werdenden Besitzer von X, dem einstigen Twitter, das immer noch von offenbar ahnungslosen Politikern, Parteien und Organisationen als Medium für ihre Öffentlichkeitsarbeit genutzt wird.
A.Paul Weber ist vor allem mit einem Blatt berühmt geworden: „Das Gerücht“. Ein schlangenhaftes Wesen fliegt vorbei an einer Häuserfront, aus dessen Fenstern unzählige Menschen mit gierigen Augen es erwarten und verfolgen. Die 1943 entstandene Zeichnung wurde bis in die sechziger Jahre vielfach als Lithographie gedruckt. META und X vorausgeahnt.
Die Kolumne erscheint am 08./09.01.2025 (online/print) in der Frankfurter Rundschau.
Herzlichen Dank für diese wunderbare Erinnerung an A. Paul Weber! Als Künstler und schreibender Gesellschaftskritiker werde ich hier direkt angesprochen. Daher erlaube ich mir zunächst, an einen Spruch meiner Vorfahren zu erinnern: „Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird“ und wünschte mir zunächst einmal selbst mehr Gelassenheit, wie es die Bundesnetzagentur im DLF geraten hat…
Die Frage, was ich in Zukunft erleben w e r d e , ist für mich zumindest, nicht zutreffend formuliert. Die Zukunft war, ist und bleibt eine reine Spekulation und kapitalistische Erfindung der Mächtigen. Man müsste schon, wie die religiös Motivierten, an eine Zukunft „glauben“ …
Vielleicht sollte die Frage daher lauten „…was ich in Zukunft erleben w i l l „…Damit würden die Angesprochenen sprachlich zumindest nicht als „Passivisten“ in eine Art von Ohnmächtigkeit gedrängt.
Ich erinnere mich auch – zur Gewinnung eigener Gelassenheit – an einen Satz der Frankfurter Schule aus der „pardon“ oder der „titanic“.
Dort war zu lesen: „Nur die allerdümmsten Kälber, wählen ihren Metzger selber“. Wir schaufeln also mit unserer massenhaften Nutzung von den angeblich sozialen (?) Medien das Grab in das wir hineinfallen „wollen“. Das Einzige was uns Künstlern und gesellschaftskritisch Schreibenden aus meiner bedeutungslosen Sicht noch „helfen“ könnte, es wäre Bildung oder eben die Einsicht in die eigene Bedeutungslosigkeit, also die Systemirrelevanz.
Oder wie A. Paul Weber es mit seinem „Seitenwechsel“ vorgelebt hat oder Olaf Scholz es ausgerufen hat: die „Zeitenwende“.
Jedenfalls hilft es nichts den Besitzer von X als immer „irrer werdend“ zu diffamieren, weil wir ja alle „ein wenig Bluna“ sind…