Die DB speichert ihre Daten in der Amazon-Cloud. Unbeantwortet bleiben Fragen nach Steuern, Sicherheit und Abhängigkeit. Kolumne vom 12.11.2020.
Jeff Bezos ist mit Amazon nicht reich, sondern superreich geworden. Die Umsätze des Konzerns sprengen ebenso jedes Vorstellungsvermögen wie dessen Kreativität, Gewinne mit Investitionen zu verrechnen, um Steuerzahlungen auf ein absolutes Minimum zu trimmen. Angeblich machte das Unternehmen außerhalb Nordamerikas im letzten Geschäftsjahr bei 100 Dollar Netto-Umsatz nur einen beklagenswerten Gewinn von 50 Cent. Also, warum Steuern zahlen?
Von Quartal zu Quartal steigt der Umsatz um mehr als 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Dabei ist der Versandhandel mittlerweile eine Art Nischenprodukt im Bezos-Imperium. Richtig verdient wird mit Amazon Web-Service. Börsianer nennen AWS das Killer-Produkt. Daten werden weltweit in die Amazon-eigene Cloud hochgeladen, und wenn AWS eine Rechnung von 100 Dollar schreibt, bleiben mehr als 30 Dollar Netto-Gewinn bei der Firma hängen. Hier liegt das zukünftige Wachstumspotenzial.
In den „Zürcher Börsenbriefen“ las ich, beim Boom der Cloud-Geschäfte sei kein Ende abzusehen – die Kunden befreien sich von ihren Rechenzentren wie vom „teuren“ Personal. Speicher und Rechenleistung können in jeder beliebigen Größe ausgelagert und eingekauft werden.Sollte Jeff Bezos, geschätztes Privatvermögen 190 Milliarden Dollar und als größter Einzelaktionär von Amazon auch größter Gewinner der Corona-Krise, bald noch reicher werden, dann kann er sich auch bei der Deutschen Bahn bedanken. Gerade wird in Berlin-Mahlsdorf das DB-Rechenzentrum stillgelegt, weil die Bahn mit unheimlich viel Vertrauen all ihre Daten nach vier Jahren Planung zwei Jahre vorfristig in die Cloud migriert.
Amazon und am Rande auch Microsoft-Azur sind künftig die einzigen Partner, wenn es um alle Fragen der IT-Struktur des deutschen Staatsunternehmens geht. Angeblich werden alle Kundeninformationen und sicherheitsrelevanten Daten, vom Ticketverkauf bis zu den Bahn-Apps, bestens verschlüsselt und sollen neugierigen Blicken von US-Diensten verborgen bleiben.
Spätestens seit den Enthüllungen über das Schnüffelsystem der NSA wissen wir, was solche Aussagen wert sind. Die Unverfrorenheit, mit der die für naiv gehaltene Öffentlichkeit abgespeist wird, wenn ein Konzern, der US-Recht unterliegt, Zugang zu sicherheitsrelevanten Daten deutscher Verkehrs-Infrastruktur geliefert bekommt, dürfte beispiellos sein. Alle Versicherungen der Bahn-IT-Chefin, die Cloud-Provider hätten keinerlei Zugang zu den Daten-Schlüsseln und hätten sich auch vertraglich zur Zurückhaltung verpflichtet, was Sicherheit und Datenschutz betrifft, liest sich wie eine Verlautbarung aus dem Hause Scheuer zum Maut-Geschäft.
Und wie steht es mit der Abhängigkeit von einem übermächtigen Cloud-Konzern? Dazu gibt es Beschwichtigungsformeln in der Art von, „wir werden den Markt beobachten“. Bei der Dynamik, wie AWS den Markt aufgemischt hat und konkurrenzlos beherrscht, eine Floskel, die sich selbst entlarvt.
Und wie steht es mit Steuern, die der deutsche Fiskus aus dem Supergeschäft mit der US-Firma zu erwarten hat? Da schweigen die Zahlen laut. Müsste nicht die DB, das mit unseren Steuern und meiner seit Jahren bezahlten Bahncard 100 abgesicherte Unternehmen eigentlich auskunftspflichtig sein?
Ich war immer ein bekennender Unterstützer der Deutschen Bahn, längst bevor Umweltaktivisten sie als Alternative zum Inland-Fliegen zu preisen begannen. Jetzt, mit Jeff Bezos als Partner, bleibt nur noch eine Alternative: zu Fuß, oder was?
Die Kolumne erschien am 12.11.2020 in der Berliner Zeitung und in der Frankfurter Rundschau.