Die Logik des Kriegs triumphiert über die Chancen des Friedens: Dass das scheitern muss, wussten manche schon vor 20 Jahren. Kolumne vom 02.09.2021
Zwanzig Jahre nach dem Al Kaida-Angriff auf New York bleiben uns allen, die älter sind als die jüngste Generation, die Bilder des Terroranschlages ins visuelle Gedächtnis eingebrannt. Der Schock des 11. September hat Europäern wie Amerikanern die Illusion genommen, in einem einigermaßen sicheren, unantastbaren Teil der Welt zu leben. Nur so ist zu erklären, dass die Reaktion der US-Administration, einen „unbegrenzten Krieg gegen den Terror“ zu führen und Afghanistan anzugreifen von den NATO-Partnern beinahe vorbehaltlos als Bündnispflicht mitgetragen wurde. Georges W. Bushs Ultimatum „Jedes Land in jeder Region muss sich jetzt entscheiden – entweder es steht an unserer Seite oder an der Seite der Terroristen,“ veranlasste Bundeskanzler Schröder zur Versicherung der „uneingeschränkten Solidarität“. So gerieten deutsche Soldaten in einen Krieg, der jahrelang nicht als solcher bezeichnet werden sollte.
Für die USA, allen voran Donald Rumsfeld und seine Mannschaft, war Afghanistan als Hort der Taliban und ihrer Al Kaida-Verbündeten, nur ein erstes Ziel. Ohne Mandat der UNO begann er mit einer „Koalition der Willigen“ am 1. März 2003 einen angeblich notwendigen Präventivkrieg gegen Irak. Der Sturz Sadam Husseins sollte eine generelle Neuordnung des Nahen Ostens einleiten.
Dass dieser zweite Akt ohne deutsche Beteiligung erfolgte, sollte man Gerhard Schröder und allen, die ihm dazu geraten haben, als bleibendes Verdienst anrechnen. Er sagte es in klaren Worten nach dem Angriff: „Es ist die falsche Entscheidung getroffen worden. Die Logik des Krieges hat sich gegen die Chancen des Friedens durchgesetzt.“
Gemeinsam mit Johano Strasser hatte ich schon ein halbes Jahr zuvor in unserer Bürgerinitiative „Aktion für mehr Demokratie“ gegen einen möglichen Irak-Krieg protestiert. Rund 120 deutsche Intellektuelle unterzeichneten den Aufruf „Nicht in meinem Namen!“ und erklärten sich solidarisch mit den amerikanischen Kollegen, die sich der Kriegs-Politik der Regierung Bush widersetzten. Wer den Terrorismus wirksam bekämpfen wolle, müsse die Vereinten Nationen stärken und dürfe nicht auf eigene Faust Rache üben. Es war kein Geheimnis, dass im Auswärtigen Amt * und in der deutschen UN-Vertretung die „Atlantiker“ anderer Meinung waren. Schröders Position war nicht unumstritten, wenngleich 80 % der Bevölkerung keineswegs bereit waren, sich in ein Irak-Abenteuer zu stürzen. Er machte uns den Vorschlag, sich mit einer repräsentativen Gruppe der Unterstützer unserer Aktion im Kanzleramt zu treffen. Am Ende des Gesprächs, an dem unter anderen Christa Wolf, Günter Grass, Friedrich Schorlemmer, Wolfgang Niedecken und Katja Ebstein teilnahmen, bekräftigte Gerhard Schröder seine feste Absicht, Deutschland aus dem Krieg herauszuhalten. Aus den immensen Schwierigkeiten, sich dem starken Drängen der Amerikaner zu widersetzen, machte er keinen Hehl. In einer Wahlkampfrede am Tag darauf in Goslar legte er sich endgültig für die Haltung der Regierung gegen die Kriegsteilnahme fest und versicherte, dass die Bundesrepublik auch im UN-Sicherheitsrat einem Krieg unter keinen Umständen zustimmen werde. Vielleicht war unsere Aktion ein letzter Anstoß, die militärisch ausgerichtete Politik der US-Regierung dem deutschen Volk nicht zuzumuten.
Zum Beginn des Irak-Krieges hatten wir 900 Künstler, Schriftsteller, Intellektuelle aus 21 Ländern auf unserer Liste der Gegner einer „War on Terror“-Ideologie. Ihr Widerstand sollte nicht vergessen werden.
Die Kolumne erschien unter dem Titel „Die Widerständigen“ am 02.09.2021 in der Frankfurter Rundschau.
* In der ursprünglichen Fassung hieß es an dieser Stelle „mit Joschka Fischer an der Spitze“. Außenminister Fischer hatte sich aber am 8. Februar 2003 dem US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und den Plänen der US-Administration, die NATO-Verbündeten zur Teilnahme an einem Krieg gegen den Irak zu bewegen, entgegengestellt. Auf der Münchener Sicherheitskonferenz sagte er in Anwesenheit Rumsfelds den Satz „I am not convinced“ – Ich bin nicht überzeugt. Ich danke den aufmerksamen Lesern für Kommentare und Hinweise.