Kolumne April 2011
Gibt es im politischen Alltag eigentlich eine größere Schmach, als von einem Diktator mit dem „Charme“ eines Gaddafis für die besonnene, sprich unentschiedene Haltung gelobt zu werden? Verbunden mit dem unwiderstehlichen Angebot, Deutschland nach der Beendigung des Aufstands beim Wiederaufbau des Wüstenstaates wohlwollend zu berücksichtigen. Wer mag sich später noch an die brutale Niederschlagung der Aufständischen erinnern, locken erst einmal wieder lukrative Ölaufträge, Handelsabkommen und Bauvorhaben. Erinnern wir uns: Nach Gaddafis vermeintlicher Abkehr von Terrorismus und Massenvernichtungswaffen war der Westen dem notorischen Menschenrechtsverletzter bald wieder wohlgesonnen.
Solange es so aussah, dass Gaddafi die Überhand behalten würde, standen die großen TV-Sender wieder bei ihm wieder Schlange. ABC, BBC und RTL gewährte der „Märchenonkel“ in seinem fantasievoll geschmückten Luxuszelt prompt eine Audienz. Andächtig lauschten die Starkorrespondenten den Worten des großen Revolutionsführers und versendeten kaum kommentiert seine brutale Botschaft. Man muss es dem Verrückten aus Tripolis schon lassen: Wie er die westlichen Medien in ihrer Sensationsgier durchschaut und sie immer wieder für seine Interessen geschickt zu nutzen weiß, ist PR-taktisch kaum zu überbieten.
„Bevor man solche politischen Schritte unternimmt, muss man auch erst einmal wissen, mit wem man es zu tun hat“, wehrte Westerwelle noch vor kurzem ab. Wie miserabel sind unsere Auslandsdienste eigentlich, um von den Umwälzungen dermaßen überrascht zu sein? Wer wirklich wissen wollte, mit wem er es zu tun hat, hätte nur einen Blick in die Amnesty-Berichte werfen müssen.
Wer kennt schon die wahren Motive der Bundesregierung, die zu der umstrittenen Enthaltung in New York geführt haben. Jedenfalls ist es dumm gelaufen für all jene, die glaubten, Gaddafi würde den Aufstand schnell beenden und man sich so vor einer Entscheidung drücken können. Erst das klare Votum der Arabischen Liga. Dann eine Mehrheit im Weltsicherheitsrat für die Flugverbotszone ohne uns. Kein Veto der neuen Verbündeten Russland und China. Deutschland fest verankert im europäischen Scherbenhaufen. Kein offizielles Signal in Richtung jener, die den libyschen Despoten stürzen wollen.
Es reicht eben nicht, in Feiertagsreden den Sturz des Diktators zu beschwören und dann, sobald der erste Beweis dafür gefordert wird, sich mit dem Verweis auf unkalkulierbare Folgen eines Engagements zu verweigern. Der Einsatz deutscher Bodentruppen stand dabei ohnehin nie zur Debatte. Libyen ist nicht Irak und Westerwelle nicht Schröder. Es ist höchste Zeit für ein Moratorium für die Verwendung der Begriffe Freiheit und Demokratie.
In Nordafrika ist nicht nur ein Tyrann zu stürzen, sondern eine real existierende Freiheitsbewegung zu unterstützen. Oder stecken hinter dem Abwarten doch Kalkül und der Wunsch, es bleibt alles beim Alten? Schließlich war Gaddafi bisher der sicherere Garant für unsere warmen Stuben, volle Tanks und die brutalstmögliche Abwehr von Flüchtlingen. Und sähen es nicht auch die Banken lieber, wenn sie die eingefrorenen Milliarden des libyschen Familienclans wieder in ihre waghalsigen Spekulationsgeschäfte pumpen könnten?
Sollte Gaddafi am Ende doch siegen, bekommen alle Diktatoren dieser Welt wieder Rückenwind. Nur auf Gaddafis Rückzug in Libyen zu warten, heißt den Vormarsch der Demokratien in der arabischen Welt zu stoppen.