Ohne Gnade

Kolumne 19. Juli 2012
In dieser Woche werden wir noch oft den Namen des Massenmörders Breivik und jenes Tatortes nahe Oslo lesen müssen, wo mehr als sechzig junge Leute von ihm erschossen wurden. Die nicht nur für Norwegen ungeheuerliche Tat hat die Welt erschüttert. Genau ein Jahr liegt sie am 22. Juli zurück.

Wir denken zugleich an die Amokläufe von Erfurt vor zehn und von Winnenden vor drei Jahren in Deutschland. Immer wieder wird die Frage gestellt, wie lange wir noch einer skrupellos argumentierenden und agierenden Waffenlobby zusehen müssen. Rund sieben bis zehn Millionen Waffen sind in deutschen Haushalten mehr oder weniger gut gesichert aufbewahrt. Darunter auch – wenn es das Ego der Besitzer erfordert – Großkaliber, die man nur in den Arsenalen von Bundeswehr und Polizei vermuten würde. Wer in Deutschland fordert, Waffen für den Schießsport sollten ausschließlich zentral und kontrolliert gelagert werden, der bekommt es mit der Waffenlobby und den Schützenvereinen zu tun. Daran hat sich, allen Amokläufen und minderen Schusswaffendelikten zum Trotz, nichts geändert. 

Auch die Lobby jener Computerspiele, die ausschließlich das Vernichten von „Gegnern“ zum Ziel haben, im Volksmund Ballerspiele genannt, ist mächtig. Man muss nur deren einschlägige Kommentare im Internet lesen, wenn zum Beispiel ein Freiburger Neurobiologe und Psychotherapeut in einem Fachartikel zum Fall Breivik schrieb, dass „die jahrelange mentale Vorbereitung der Tat, insbesondere aber das mit der intensiven Bedienung von Kriegs- und Killerspielen verbundene ‚mentale Training’ eine Funktionsstörung im Stirnhirn liegender Nervenzell-Netzwerke herbeigeführt haben, die als ‚moralische Kontrollzentren’ unseres Gehirns fungieren.“

Am Montagabend hatte nun das ZDF einen besonderen Film im Programm, der offenbar ganz im Sinne von Waffen- und Computerspielelobby Quote machen sollte. Oder war es – wenige Tage vor dem Jahrestag des Utöja-Massakers – ein nicht explizit ausgewiesener Beitrag zur Diskussion um hemmungslose, menschenverachtende Waffengewalt? Das ZDF zeigte für Jugendliche ab 16 Jahre „Max Payne“. Die Hauptfigur – ein Killermonster für die gute Sache, Frau und Kind rächend. Mehr muß man über den Selbstjustiz übenden Helden und den banalen Inhalt nicht wissen, denn es handelt sich lediglich um die filmische Adaption des gleichnamigen Computerspiels, das 2001 auf den Markt kam und eine blutige Spur begeisterter Fans hinterließ. Der Held Max Payne schießt Heerscharen von Gegnern seine MPI-, Pumpgun- und Pistolenkugeln in die Leiber, wird dank einer Wunderdroge schier unverwundbar und für seinen außerhalb jeglichem Recht vollzogenen Feldzug gegen „das Böse“ zu einer wahren Lichtgestalt in dieser nicht nur für Cineasten lächerlichen Film-noire-Karikatur. Die Annotation des ZDF adelt den bluttriefenden Skandal gar zum „eindrucksvollen Scenario“ mit „technisch brilliant inszenierten Actionsequenzen“.
Nehmen wir mal an, einem Programmverantwortlichen in Mainz ist schlicht die Ethik-Sicherung durchgebrannt, als entschieden wurde, diesen Film ausgerechnet in dieser Woche der schmerzlichen Erinnerung an das Massaker in Norwegen, dem öffentlich-rechtlichen Publikum anzubieten. 

Jedenfalls ging das Kalkül auf. Unter zwei Millionen Zuschauern befanden sich 0,8 Millionen im Alter von 14 bis 49 Jahren, das seien „sehr gute 10,2 Prozent Marktanteil bei den jungen Zuschauern“, beurteilte ein Branchendienst die Quote. Für das ZDF ein Fortschritt, sein Publikum spürbar zu verjüngen.

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