Kolumne Oktober 2009
Sie haben auf jede Krise eine Antwort. Selbst auf jene, die sie mit ihren marktradikalen Theorien selbst herbeigeschrieben oder durch ihre Maßlosigkeit beschleunigt, zumindest aber begünstigt haben. Sich allwissend gebende und von den Medien hofierte Wirtschaftsexperten, die gestern noch den Neoliberalismus predigten, geißeln heute den „Kasino-Kapitalismus“ und klagen die Abzockermentalität raffsüchtiger Manager an. Jede Krise bietet eine neue Chance. Und zwar die, seine wirtschaftliche Weste reinzuwaschen und sich immer wieder zum ökonomischen Heilsbringer aufzuschwingen. Man glaubt es kaum, aber die Böcke machen sich mittlerweile selbst zu den Gärtnern.
Hans-Werner Sinn, Vorzeigeikone der Neoliberalen, wetterte jahrelang gegen gierige Gewerkschaften. Mit ihren unverschämten Lohnforderungen hielten sie den „Arbeitsmarkt im Würgegriff“, klagte er. Der Sozialstaat sei der mächtigste „Konkurrent der Wirtschaft“ verkündete er 2003 lauthals und das obwohl schon damals die Löhne stagnierten und sich Hartz IV schon ankündigte. Lockerung des Kündigungsschutzes und Kombilöhne, Deregulierung auf der ganzen Linie hieß sein Credo. Nun beschwert er sich plötzlich darüber, dass die Gewinne privatisiert und die Verluste sozialisiert werden. Einem Hardliner wie ihm hätte man eine solch Kehrtwende nicht zugetraut. Aber wie sagte schon Konrad Adenauer so treffend: „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern.“
Richtig dreist wird es aber, wenn „Deutschlands klügster Wirtschaftsprofessor“ (BILD) die angeblich so gebeutelten Konzernlenker gegenüber den geldhungrigen Spekulanten verteidigt. „Die Manager sind nur die Marionetten im Theater. Darüber sitzen die Marionettenspieler, die Aktionäre“, will er uns nun weiß machen. Als ob die Manager lammfromme Schafe wären, die sich niemals auf Kosten des Unternehmens, der Beschäftigten oder der Steuerzahler bereicherten. „In der Marktwirtschaft wird man nicht durch Raub reich, sondern durch Fleiß“, gaukelt uns Sinn vor. Kann der ehemalige EnBW-Manager Utz Claassen wirklich so emsig und erfolgreich gewesen sein, dass er sich Zahlungen bis zu seinem Rentenalter in Höhe von über sieben Millionen Euro plus weiteren Pensionsansprüchen verdient hat?
Noch unglaublicher als diese Summe, ist aber die Kaltschnäuzigkeit, mit der er seine Forderungen vom Stuttgarter Energiekonzern jetzt einklagen möchte. Aber die Diskussion um exorbitante Managergehälter und Bonuszahlungen ficht Claassen anscheinend nicht an. Stattdessen lenkt er von seinen ungeheuerlichen Abfindungszahlungen ab und prangert lieber die mit „Dummheit, Faulheit und Gier“ infizierten Investmentbanker an. „Gier“ so sagt er unschuldig, „sei keine Frage der Gehaltshöhe“. Vielleicht verbirgt sie sich aber hinter den Summen, die man von seinem Arbeitgeber vertraglich einfordert. Der wendige Claasen sieht das seiner Natur gemäß anders. Er hat auch kein Problem damit, nun für die amerikanische Investmentfirma „Cerberus“ zu arbeiten und in seinem neuesten Buch gleichzeitig solche „Geisterfahrer“ zu kritisieren.
Selbstkritik und Scham sind für Sinn und Claassen kein Thema. Auch Kapitalismus-Ideologe Friedrich Merz oder Neoliberalismus-Exeget Marc Beise geben ihre kruden Weisheiten zum Besten, ohne dass sie jemand bremst. Achtung vor solchen Geisterfahrern. Sonst landet die soziale Marktwirtschaft endgültig im Graben.