Die Betreuungsfalle

Kolumne 11. November 2009

Im Jahr 2050 soll es in Deutschland doppelt so viele ältere wie jüngere Menschen geben. Und von den jüngeren werden noch mehr einen Migrationshintergrund haben als heute. Allein im Berliner Problemkiez Neukölln rechnet man in zehn Jahren mit einer Mehrheit von Menschen nichtdeutscher Herkunft, nicht zuletzt aufgrund der höheren Geburtenraten bei den Migranten. Vom bunten und lebendigen Multikulti, also gelungener und gegenseitiger Anpassung ist man dort und andernorts in Deutschland aber immer noch weit entfernt.

Hier haben Bildung und Einkommen einen Tiefstand, Frust und Aggression hingegen einen Höchststand erreicht. Umso größer müssten eigentlich die Anstrengungen sein, zu integrieren statt zu isolieren. Das fängt schon bei den Kleinsten in Krippe und Kindergarten an. Eine „Herdprämie“ von 150 Euro pro Monat und Kind oder Gutscheine für Hartz-IV-Empfänger wirken kontraproduktiv.

Dass dem Neuköllner Bürgermeister beim Reizthema „Betreuungsgeld“ der Kragen platzt, ist angesichts der augenscheinlichen Misere in seinem Bezirk leicht verständlich. Dass seiner Ansicht nach die „deutsche Unterschicht“ den staatlichen Zuschuss in Alkohol umsetzen könnte und von der „migrantischen Unterschicht“ vielleicht in die eigene Tasche statt in die Bildung ihrer Kinder gesteckt wird, streiten selbst renommierte Erziehungsforscher nicht gänzlich ab. Dass er mit seinen derben Seitenhieben auch unbescholtene Hartz-IV-Empfänger und integrationswillige Ausländer trifft, weiß Heinz Buschkowsky. Aber er weiß auch, dass man im deutschen Blätterwald kräftig trommeln muss, um sich Gehör zu verschaffen und um Missstände ins öffentliche Bewusstsein zu heben. 

Genau für diese Übel scheint die bürgerliche Regierungskoalition aber blind zu sein. Ihr geht es kaum um das Wohl aller Kinder, sondern um das Wohl einer konservativen Klientel, die dieses Geld oft gar nicht benötigt und zugunsten Ärmerer besser darauf verzichten könnte. Aber lieber pflegt man wie der Augsburger Bischof und Betreuungsgeldbefürworter Walter Mixa ein Familienbild aus alten Zeiten, statt über die Bildungsdefizite und Bildungs-gerechtigkeit der Gegenwart nachzudenken. Dabei überhört man selbst die warnenden Stimmen aus den eigenen Reihen, wie die von Familienministerin Ursula von der Leyen oder Eberhard Diepgen, dem Ex-Oberbürgermeister von Berlin. Aber mit tauben Ohren lässt sich’s besser sparen. Der Staat kommt nämlich deutlich günstiger davon, wenn er arme wie reiche Eltern mit 150 Euro abspeist, statt für alle Kinder ausreichend Krippenplätze zu schaffen und alle ErzieherInnen angemessen zu entlohnen. Das mag für die besserverdienende Mittelschicht vielleicht familienbildend und kinderfördernd sein, für die wachsende Schicht der Sozialhilfeempfänger und alleinerziehender Mütter bringt es nichts.

Der Graben zwischen Arm und Reich, zwischen Deutschen und Ausländern wird mit dem Betreuungsbonus noch tiefer werden, der Austausch zwischen den Kulturen seltener. In den sozialen Brennpunkten vieler Großstädte schotten sich schon jetzt bildungsnahe und bildungsferne Bürger immer stärker voneinander ab. Darunter leiden vor allem die Kinder, die von der Welt des jeweils anderen nichts mehr wahrnehmen und so Vorurteile aufbauen können. Abhilfe schaffen nur Investitionen in die Integration. Nicht nur gezielt dosierte Finanzspritzen für den Ausbau von Kitas und Schulen sind notwendig, sondern auch für soziale Projekte, die Migranten und Nicht-Migranten verbinden und nicht trennen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert