Spreewaldgurke und Spalterflagge

Kolumne 6. Februar 2014

Irgendetwas vergisst man immer, selbst beim Verfassen eines Koalitionsvertrages. Aufgefallen ist es dem Leiter der Stasigedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen. Er hatte schon frühzeitig angemahnt, dass ein Verbot der DDR-Symbole in diesen Vertrag – wo auch sonst – aufgenommen werden solle. 
Der Historiker regt nunmehr an, im 25. Jubiläumsjahr des Mauerfalls ein Symposium zu veranstalten, das endgültig klären soll, welche Symbole zu erfassen sind „und mit welchen Instrumenten man sie aus der Öffentlichkeit verbannen will“.

Deutschland solle sich dabei unbedingt an Regelungen in anderen Ländern orientieren. Ausdrücklich empfohlen werden Ungarn und Lettland als Leitbilder. 
Dabei wurde sicher vergessen, dass bei allem Jagdeifer auf kommunistische Überreste Symbole und Kleidung der berüchtigten Pfeilkreuzler von den ungarischen Jobbiks in Ehren gehalten werden. Und warum Lettland? Wohl weil es durch seine alljährlichen Aufzüge zur Erinnerung an die Legion der Waffen-SS eine Sonderrolle in der Traditionspflege innerhalb der EU zu beanspruchen scheint. In Lettland hat der SS-Spuk sogar die Weihen des Präsidenten empfangen. 
Aber zurück zu unseren deutschen Problemen. Philipp Missfelder ging im Mai vorigen Jahres einen Schritt weiter und forderte neben dem Symbole-Verbot auch noch zu prüfen, wie die Verherrlichung der DDR durch Ostalgie-Produkte untersagt werden könne. Aber wie definiert man ein Ostalgieprodukt? Droht das Verbot der Spreewaldgurke? Wird das Sandmännchen mit seinem bekannten Mitarbeiterstab aus den Sendeanstalten vertrieben? Sind alte Polizeiruf-Filme mit ihren Honecker-Bildern an den Wänden und „Genosse Oberleutnant“-Gestalten überhaupt noch zeigbar? Ist das Ampelmännchen, zumindest das rote, unseren Menschen zuzumuten? Haben wir genug Polizeikräfte, um auf hunderten östlichen Flohmärkten das letzte DDR-Winkelement und die letzte Ulbricht-Briefmarke zu beschlagnahmen? 
Von meinem Berliner Schreibtisch genieße ich den privilegierten Blick auf den Pariser Platz, und muss mich doch ständig fragen: Wie gefährlich ist es, mehrere Stunden am Tag den Anblick der „Spalterflagge“ zu ertragen, wie sie gleich nach ihrer Einführung 1959 in den Bonner Amtsstuben genannt wurde? Gestern wurde sie von einem Menschen geschwenkt, der nicht nur eine DDR-Fantasieuniform sondern auch einen Bärenkopf trug? Hinter ihm ein Touristen-Animateur mit Grenzer-Mütze sowie Hose und Jacke zweier unterschiedlicher Waffengattungen, in beiden Händen vier Fahnen! Das Sternenbanner, die alte Flagge der Sowjetunion und zweimal schwarz-rot-gold. Eine, freilich, mit Hammer, Zirkel und Ährenkranz. Davor das lebende Standbild eines bis auf die Haut grün gefärbten NVA-Soldaten. Alle in der Hoffnung vereint, von fotografierenden Berlin-Besuchern mit einem Trinkgeld honoriert zu werden. Ästhetisch ist das Spektakel zweifellos eine Zumutung. Doch kann ich die Gefahr nicht erkennen, die von diesen eigenartigen Gestalten ausgehen soll, zumal ich vor deren Hartnäckigkeit, sich als Kleindarsteller das Überleben in der teuren Stadt selbst zu verdienen, allen Respekt habe. 
Vielleicht verbieten und ahnden wir zunächst einmal konsequenter solche Vergehen wie kriminelle Steuerhinterziehung, rücksichtlose Umweltschädigung, schamlose Ausbeutung asiatischer Textilarbeiterinnen sowie jede Form des Rassismus und andere Unmenschlichkeiten. Und wenn das alles erledigt ist, dann wenden wir uns den verbliebenen Symbolen der infolge Mauerfalls verblichenen DDR zu.

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