Volkssport Volkswille

 Kolumne Februar 2014

Solange ich Plakate entwerfe, wird dieses Druckerzeugnis totgesagt. Wie lebendig es ist und durchaus Gegenstand handfester Auseinandersetzungen sein kann, hat die Schweizer Volksinitiative „Gegen die Masseneinwanderung“ soeben unter Beweis gestellt. Großflächig plakatiert wurde von Befürwortern und Gegnern das Motiv des Apfelbaums beschworen, dessen Früchte es für die Schweiz zu bewahren und vor dem Zugriff der Zuwanderer zu schützen gilt. Die optischen Eingriffe waren von großer Suggestivkraft – auf Seiten der Betreiber der Initiative reine Demagogie.

Mich hat die Kampagne an den Streit um die Plakate anlässlich des Volksentscheids zum Minarett-Verbot erinnert. Der Mann fürs Grobe unter den Schweizer Grafikern ist Alexander Segert von der Agentur GOAL. Seinerzeit hatte er das gerupfte Huhn, die rote Ratte und das schwarze Schaf ins Bild gesetzt. Besonders perfide das Motiv der Burka-Frau und den Minaretten, die wie Raketen aus dem Schweizer Boden schießen. Das ganze Vokabular der Rechtspopulisten: plump, aber eindringlich. 

In einem Rechtsstaat sind Kontroversen über Plakate stets auch eine Auseinandersetzung über die Grenzen der Meinungsfreiheit. Die Überraschung über den Ausgang des Volksentscheids verwundert mich insoweit, als das Ergebnis in Anbetracht vorausgegangener Referenden vorhersehbar gewesen ist. Mich beschäftigt einmal mehr, ob die von vielen als Allheilmittel gegen Demokratiemüdigkeit und Politikverdrossenheit gepriesene direkte Demokratie tatsächlich eine Lösung verspricht. Zumal im Zeitalter des Internets Befragungen zu diesem und jenem zu einer Art Volkssport zu werden drohen. Meine Skepsis ist gewachsen, vor allem seit mich die Aufrufe von Change.org in immer dichterer Folge erreichen. Jüngstes Beispiel: „Jetzt Patrick unterstützen! Klaus, diese Kampagne wurde gerade neu auf Change.org gestartet und wir denken, das könnte Sie interessieren“, redet mich diese Internetplattform vertraulich an. Aber wer ist „wir“? Ein Patrick Mayr aus Regensburg stellt mir und allen Change.org-Usern die Frage: „Frau Merkel, ist der Ehrliche der Dumme?“. Ulrich Wickert hat diesem Thema schon ein ganzes Buch gewidmet. Soll ich meine Überzeugung Patrick aus Regensburg noch einmal über Change.org bestätigen? Laut Impressum hat die Petitionsplattform ihren Sitz in New York, NY 10025, 216 West 104th Street, Suite #130. In Zeiten von NSA scheint mir das kein besonders empfehlenswerter Weg, so Leid es mir für Patrick tut. Dabei fällt mir ein, dass ich den erfolgreichen Aufruf der Schriftsteller gegen die NSA auch über Change.org unterzeichnet habe. 

Inzwischen versucht Berlin, Hamburg als Hauptstadt der Volksbefrager abzulösen. Nach dem anstehenden Volksentscheid zur Bebauung des Tempelhofer Feldes ist noch in der Pipeline die Volksinitiative „Schule in Freiheit“. Neu im Programm ist die Frage zur Abwahl des Regierenden Bürgermeisters. Geübter Antragsteller ist ein Webprogrammierer, der sich mit der neuen Aktion allerbreitester öffentlicher Aufmerksamkeit sicher sein kann. Und Heiner Geißler denkt laut über ein Votum zur Mega-Stromtrasse nach. 

Das jüngste Schweizer Ergebnis hat meiner Erwartung an die Erforschung des Volkswillens Grenzen gesetzt. Ausgerechnet die rechtsgewirkte Junge Freiheit titelte nach diesem Votum dreist: „Mehr Demokratie wagen! Volksabstimmung: Warum wir uns die Schweiz zum Vorbild nehmen sollten.“ Vor falschen Freunden wird gewarnt! 

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