Kolumne 11. September 2014
Wie oft habe ich in letzter Zeit gehört: „Die ganze Welt scheint aus den Fugen“. Zu viele Brandherde führen zu Rat- und Hilflosigkeit. Vor allem auch deshalb, weil wir uns nicht mehr mit Goethes Faust I trösten können, wonach nur „hinten, weit, in der Türkei, die Völker aufeinander schlagen“.
Zu Zeiten des RAF-Terrors galt es in bestimmten Kreisen als schick, unser Staatswesen als „Polizeistaat“ zu denunzieren. Desgleichen habe ich bisher energisch widersprochen, wenn mit dem Unterton zynischer Verachtung die Bundesrepublik als „Bananenrepublik“ beschimpft wurde.
Inzwischen fallen meine Erwiderungen nicht mehr ganz so überzeugend aus, wenn jemand mit dem Südfrucht-Vergleich eine notwendige Debatte beenden will. Bananenrepubliken gibt es leider noch allzu viele. Wir gehören definitiv nicht dazu. Das entbindet uns indes nicht von der Verpflichtung, alarmierende Signale wahrzunehmen. Gedankenlosigkeit und Routine lassen oft das Gefahrenbewusstsein verlieren.
Der Rechtsstaat ist das Fundament unserer Demokratie. Zuständig für den Rechtsfrieden sind die ordentlichen Gerichte. Der sich im Bayerischen dahinschleppende NSU-Prozess lässt allerdings daran zweifeln, ob der Verfassungsschutz tatsächlich bereit und in der Lage ist, die Verfassung vor ihren erklärten Zerstörern zu schützen. Dass die NPD knapp am erneuten Einzug in den sächsischen Landtag gescheitert ist, kann nicht beruhigen.
Gegenwärtig droht die rechtsradikale Partei noch von einer viel gefährlicheren Formation überholt zu werden. Deren Anhänger scheinen von keinem sehnlicheren Wunsch erfüllt zu sein, als sich notfalls per Selbstmordattentat in welches Paradies auch immer zu bomben.
Was ist das eigentlich für eine seltsame Demokratie, in der fusselbärtige Hassprediger weitgehend unbehelligt ihre Verachtung unseres Systems zelebrieren, um gewalttätig für Scharia und Gottesstaat zu agieren?
Der ganz überwiegende Teil der Deutschen will keinen Gottesstaat. Europa hatte die Aufklärung. Religiöse Wahnvorstellungen mit missionarischem Anspruch sind weitgehend überwunden.
Gar so weit entfernt ist die Scharia von unserem Rechtssystem übrigens nicht. Schon länger wird versucht, auf heimlichen Wegen der Scharia juristisch Geltung zu verschaffen. Es gibt nicht nur eine Parallelgesellschaft.
Natürlich macht es Angst, wenn sich ein weitgehend unbescholtener Bürger aus Dinslaken plötzlich im Namen Allahs einen Sprengstoffgürtel umbinden lässt, um sich anschließend in die Luft zu jagen, unter Mitnahme eines guten Dutzend Ungläubiger. Dass all diese verblendeten Terroristen einen salafistischen Hintergrund haben, ist den Behörden bekannt. Nun möchte ich für die Mörder-AG nicht wieder den Erklärungsversuch von den frustrierten, zu wenig integrierten jungen Männern mit Migrationshintergrund hören. Würden alle Frustrierten so reagieren, die Massaker fänden kein Ende.
Der militante Salafismus mit seiner Demokratieverachtung gehört nicht zu Deutschland. Und an die seltsamen „Scharia-Polizisten“ in Wuppertal: Der Staat hat das Gewaltmonopol, nicht selbsternannte „Gotteskrieger“.
Wie reagieren nun die Bürger auf diese Zumutungen? Das Ergebnis der Landtagswahlen in Sachsen spendet bei einer Wahlbeteiligung unter 50 Prozent keinen Trost. Ex-Verfassungsrichter Papier hält Wahlverweigerung für genauso unmoralisch wie Steuerhinterziehung. Ob die Thüringer bei der bevorstehenden Landtagswahl „moralischer“ handeln, als die Sachsen?