Der Spiegel für Amazon

Kolumne August 2014

Wenn von Online-Riesen gesprochen wird, ist meistens Amazon gemeint. Er sei der größte, der mit den miesesten Arbeitsbedingungen, der rigoroseste im Umgang mit den Zulieferern, auch als Steuerverweigerer einer der skrupellosesten. Vor kurzem sei er auch unter die Erpresser gegangen, der seine Marktmacht gegenüber Hachette und Bonnier ausspielt, um den Verlagsketten schmerzhafte Händlerrabatte abzutrotzen, als abschreckendes Beispiel für die gesamte Buch- und Verlagsbranche, für alle, die Amazons Zumutungen noch widerstehen wollen.

Doch nach einer quälend langen Schrecksekunde regt sich nun Widerstand. Die 900 amerikanischen und 1600 deutschen Autoren haben öffentlich klargestellt, dass schließlich sie, die Urheber, es sind, die am Beginn der gesamten Vermarktungskette stehen. Aber was besagen diese Zahlen schon gegen die Umsatzmilliarden des Netzgiganten? Altmodisch gesprochen können die Protestierer über die Amazon-Praktiken aufklären und Bewusstsein schaffen in einem Sektor der Kultur, dessen Belange meist nur im Feuilleton verhandelt werden. Im Berliner Tagesspiegel las ich jetzt, dass der Konzern nicht „amoralisch“ handle. Es sei dahingestellt, ob eine solche Wirtschaftsmacht überhaupt moralfähig ist oder nicht. Jedenfalls unterliegt sie dem Strafgesetzbuch, sollte sie sich krimineller Methoden bedienen.

Die ursprünglich durch eine ARD-Fernsehsendung ausgelöste Debatte über die rigorosen Praktiken des Multis scheint inzwischen nicht ohne Folgen zu bleiben. Wenn der stationäre Buchhandel wieder Literaturland sieht, ist das sicher auf die Haltung und das Kaufverhalten der Kunden zurückzuführen. Denn sie sind die Frauen und die Herren des Verfahrens, niemand sonst. Allein ihre Entscheidungen bestimmen über Erfolg oder Misserfolg des Systems Amazon.

Und das sitzt gar nicht so fest im Sattel, wie es den Anschein hat. Längst scharren die Aktionäre unruhig mit den Füßen. Denn der Riese macht immer noch, auch ausgelöst durch Zukäufe, beachtliche Verluste auf dem Weg zum Monopol. Darum geht es. Das Handelsunternehmen hat nur dann Chancen, die Gewinnzone zu erreichen, wenn alle Konkurrenten niedergekämpft sind. Deshalb ist dieses Zeitfenster jetzt so wichtig. Kollektives Jammern ist kein Erfolgsrezept. Durch Überzeugungsarbeit „Pro Buchhandlung“ sollten dem Onlinehändler so viele Kunden abgeworben werden, dass es schmerzt. Auch müssen die Steuergesetze endlich die systematische Steuerflucht verhindern. Schließlich müssen auch die Kartellwächter aufgrund des Missbrauchs der Marktmacht ihres öffentlichen Amtes walten.

Der durch die öffentliche Diskussion eingetretene Imageverlust ist unübersehbar für Amazon. Wir sollten ihn verstärken, indem wir dem Konzern durch Verbraucher- und Meinungsmacht seine Grenzen zeigen.

Umso überraschter war ich, als ich im Magazin „Der Spiegel“ ganzseitige Eigenanzeigen las. Winken doch dem Werber für ein Spiegel-Abo Wunschprämien wie eine € 80-Geldprämie, der E-Book-Reader „tolino vision“, die Stehleuchte „Tolomeo Lettura“ und ein „€ 90-Amazon.de-Gutschein“, der so beworben wird: „Amazon.de ist Deutschlands führendes Medien- und Kulturkaufhaus im Internet. Erfüllen Sie sich mit diesem € 90 Gutschein einen Wunsch aus dem umfangreichen Sortiment – über eine Million Bücher, 250 000 CDs, DVDs, Spiele und vieles mehr stehen zur Auswahl.“ So wirbt nicht etwa Amazon im „Spiegel“, sondern der „Spiegel“ für Amazon. Noch Fragen?

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