Menschenrecht Meinungsfreiheit

Kolumne vom 28.10.2020

Es war schon ein Akt der Verzweiflung, als rund 50 deutsche PEN-Mitglieder vor einigen Wochen an den Bundespräsidenten und die Bundesregierung appellierten, sich unverzüglich für das Überleben und die Freilassung des Menschenrechtlers und Bloggers Raif Badawi einzusetzen. Nach sieben Jahren Haft im saudischen Briman-Gefängnis von Dschidda, nach mehreren Folterungen, Hungerstreiks und einem desolaten Gesundheitszustand sollte nun jeder politische Kontakt mit saudiarabischen Politikern davon begleitet sein, Badawis sofortiges Haftende und die Ausreise zu seiner im kanadischen Exil lebenden Familie zu fordern.

300. Tübinger Mahnwache für Raif Badawi am 10.10.2020. Youtube Videostill

Der Sacharow-Preisträger wurde inzwischen selbst zum Namensgeber eines Preises, den die Friedrich-Naumann-Stiftung mit dem Börsenverein des deutschen Buchhandels an mutige Journalisten vergibt, die für die Wahrung der Menschenrechte kämpfen. Geehrt wurde der jemenitische Menschenrechtsanwalt und Kolumnist Abdul-Rahman Al-Zbib.  Er engagiert sich in Rundfunksendungen für Landsleute, die der Rechtshilfe bedürfen, er kämpft gegen Justizwillkür und Korruption, um die Stimme gegen die im Jemen allgegenwärtige Unterdrückung zu erheben. Der Gefahr, selbst eines Tages verhaftet zu werden, ist er sich jederzeit bewußt.

Den 15. November hat der internationale PEN zum Tag des inhaftierten Autors erklärt. Mit einer Jahr für Jahr aktualisierten Liste der Fälle erinnert die Schriftstellervereinigung daran, in welchen Staaten unterschiedlicher Regierungsform und gesellschaftlicher Formation Menschen inhaftiert sind, „die nichts in Anspruch genommen haben, als ihr Recht auf das freie Wort.“ Das Recht auf Meinungsäußerung in Wort, Bild und Schrift wird für unteilbar erklärt, es sei elementar und dürfe nicht aus Staatsräson, religiösen Befindlichkeiten oder anderen Gründen eingeschränkt werden.

Auch und vor allem den Aktivisten von Amnesty International gebührt Respekt und Anerkennung für ihren oft aussichtslos erscheinenden Kampf. Erst in diesem Sommer klagte der deutsche Amnesty-Generalsekretär Markus N. Beeko die Willkür und „absurde Justizfarce“ gegen vier seiner türkischen Kollegen an. Unter dem Vorwurf der Mitgliedschaft in einer Terrororganisation wurden die AI-Funktionäre, darunter der Ehrenvorsitzende Taner Kilic und die ehemalige Amnesty-Direktorin der Türkei Idil Eser mehrere Monate in Untersuchungshaft gehalten und im Juli zu mehreren Jahren Haft verurteilt. AI bezeichnete das Verfahren als „einmaligen Tabubruch in der fast 60-jährigen Geschichte der Menschenrechtsorganisation.“ Beeko schrieb in einer Protestnote, dass sie allein wegen ihres Einsatzes für die Rechte und Freiheiten anderer die Haftstrafen erhalten hätten. Die Verurteilungen seien nur politisch motiviert, willkürlich und sie missachteten jegliche rechtstaatliche Standards. Ich kann mich nicht erinnern, deutliche Proteste der Bundesregierung oder europäischer Politiker vernommen zu haben, mit denen die Türkei, ein Staat, der die Europäische Menschenrechtskonvention unterschrieben hat, zur Einhaltung internationaler Verpflichtungen und zivilisatorischer Konventionen aufgefordert wurde.

Und gerade erst lasen wir, dass eine Künstlerin aus Köln, die Sängerin Hoznan Cane, nach mehr als zwei Jahren Haft wegen ähnlicher „Terrorvorwürfe“ zwar aus einem türkischen Gefängnis entlassen aber an der Ausreise nach Deutschland gehindert wurde, weil weitere Gerichtsverhandlungen nun bis ins nächste Jahr verschoben wurden.

Die Kolumne erschien am 28.10.2020 in der Berliner Zeitung und in der Frankfurter Rundschau.

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