Kolumne vom 27.07.2023
„Zurückdrehen läßt sich die weltweite Temperatursteigerung nicht mehr. Und wenn wir nicht weltweit schleunigst mit neuen Technologien den Treibhausgas-Ausstoß reduzieren, werden wir in unseren Breitengraden über Temperaturen nahe 40 Grad bald nicht mehr reden müssen,“ hörte ich kürzlich, noch vor dem großen südeuropäischen Hitzeausbruch, Mojib Latif sagen. Der Kieler Klimaexperte weist immer wieder mit stoischer Dringlichkeit und Argumentationskraft darauf hin, dass allein mit Absichtserklärungen und nur nationalen Anstrengungen das Ziel der weltweiten Temperaturbegrenzung nicht erreicht werden kann. Denn die globale Erwärmung läßt sich eben nur durch bewußtes Handeln der Menschen im Zaum halten.
Am jährlichen Umsatz des weltweiten natürlichen Kohlenstoffkreislaufs von 771 Milliarden Tonnen CO2 sind die von Verbrennung fossiler Energieträger und aus Industrieprozessen stammende Treibhausgas-Emissionen mit 37 Milliarden Tonnen relevant. Denn während der natürliche Austauschprozess zwischen Atmosphäre, Ozeanen und Landflächen immer schon in der Natur vorkam und im Gleichgewicht blieb, liegt in den von Menschen verursachten Gleichgewichtsstörungen das eigentliche Gefahrenpotential.
Trotzdem sieht er Hoffnung, den „point of no return“ zu vermeiden. Damit widersprach er kürzlich den Warnungen des UN-Generalsekretärs António Guterres, der Klimawandel sei bereits „außer Kontrolle“. Katastrophale Hitze, Dürre und Starkregenereignisse in vielen Regionen der Erde würden eine aussichtslose Lage belegen. Doch diesen lähmenden Fatalismus will Latif nicht teilen. Er hofft mit seinen Mahnungen beharrlich auf Einsicht und menschliche Vernunft.
Er konnte nicht wissen daß die Sportredaktion des Nachrichtensenders, der ihn zum Interview eingeladen hatte, dem Statement des Klimaforschers schon im nächsten Beitrag eine eigentümliche Pointe der Ignoranz bot: „Arbeitsplatz Rennstrecke – zwei junge Frauen mit Vollgas auf dem Nürburgring. Autorennen darf nicht mehr nur eine Männerdomäne sein!“
Die Kamera begleitete zwei begeisterte Rennfahrerinnen, die über die Nordschleife der Grand-Prix-Strecke jagten. Die Motorgeräusche ließen keinen Zweifel, dass da eine ganze Menge Abgas in die Luft der Eifel geblasen wurde.
Am gleichen Tag sah ich auf einer Internetseite, die seriöse Zahlen zur Klimabilanz präsentierte, ein Werbebanner: „USA ab 390 Euro mit der Lufthansa.“ Bei der Schweizer Stiftung „myclimate“ kurz mal nachgefragt, was denn ein einfacher Flug von Frankfurt nach Los Angeles an CO2-äquivalenter Emission pro individuellem Passagier als Verbrauch ergibt. Ergebnis: 1,5 t.
„Myclimate“ rät, eine Person sollte pro Jahr nicht mehr als 0,6 t CO2 verursachen, um den Klimawandel aufzuhalten. Ein Mensch in der EU schafft jedoch gegenwärtig 8,4 t Treibhausgas pro Jahr im Durchschnitt! Wie soll man da noch an ein realistisches Ziel weltweiter Temperaturbegrenzung glauben?
Der ADAC weiß Rat, und wir sind wieder am Nürburgring. Dort versammelten sich am Wochenende Mitte Juli 130.000 Besucher zum „wichtigsten Truck-Motorsport-Event“ des Landes, das der Automobilclub veranstaltet. Dutzende Renn-LKW’s mit mehr als 1000 PS und 160 km/h fuhren viele Runden um die Wette, natürlich bemüht um Nachhaltigkeit, weil zunehmend Bio-Diesel verbrannt wird. Über die Menge des am Rennwochenende dennoch erzeugten Kohlendioxids war keine Zahl auffindbar, aber man habe sich verpflichtet, „bis 2038 auf Netto null Emissionen zu kommen“. Das ist doch ein Wort.
Die Kolumne erschien online am 26.07.2023 in der Frankfurter Rundschau, am 27.07. in der Printausgabe.
2 Kommentare zur Kolumne in der Frankfurter Rundschau:
Thenduil Qunrir: Wenn „Biodiesel“ denn wenigstens aus Abfällen hergestellt werden würde …
- Gregor Gerland: Wenn die Menschheit es nicht fertig bringt, den selbstfabrizierten Schwachsinn namens „Autorennen“ endlich zu verbieten, hat sie nichts anderes verdient als ihren Untergang.