„Die Demokratie ist das Kostbarste, was wir haben“
Der Politgrafiker, Rechtsanwalt und Wahlkämpfer Klaus Staeck war zu Gast beim RNZ-Forum im Heidelberger Theater.
Beitrag aus der Rhein-Neckar-Zeitung vom 16.11.2023. Autor: Volker Oesterreich
Heidelberg. „Glück gehabt“, so könnte das Lebensmotto Klaus Staecks lauten. Der Heidelberger Politgrafiker, Jurist, SPD-Wahlkämpfer und ehemalige Berliner Akademie-Präsident hat zwei ganz wesentliche Eigenschaften für sich gepachtet: Zuversicht und Hartnäckigkeit. Dafür steht der 85-Jährige, und genau das vermittelt er auch beim RNZ-Forum im bis auf den letzten Platz gefüllten Alten Saal des Heidelberger Theaters im Gespräch mit Chefredakteur Klaus Welzel. Zwei gewitzte Akteure des geschliffenen Worts bannen ihr Publikum gut eineinhalb kurzweilige Stunden lang.
Komprimierte deutsche Kultur- und Politik-Geschichte steht im Mittelpunkt, angereichert durch viele Anekdoten, zum Beispiel über „das Wunder der gläsernen Nachttöpfe“. 20.000 Stück hatte Staecks Mutter, Inhaberin eines kleinen Kunsthandwerkerladens, bestellt, um sie gewinnbringend zu verkaufen. „Eine ganze Waggonladung voll für eine Stadt mit nur 19.000 Einwohnern, alle erklärten sie für verrückt“, erinnert sich Staeck. „Aber es hat funktioniert.“ Glas könne zerbrechen, viele kauften gleich mehrere Exemplare. „Ruckzuck waren die Dinger weg.“ Extraapplaus für dieses kleine kapitalistische Lehrstück aus dem noch jungen Sozialismus der DDR.
Lange ausgehalten hat es Staeck nicht in Walter Ulbrichts Diktatur. „1938 in Pulsnitz nordöstlich von Dresden geboren und aufgewachsen in Bitterfeld, machten Sie 1956 als 18-Jähriger ,rüber’ in den Westen“, resümiert Welzel die Vita des Künstlers. Der Zwang zu lügen, die vielen Halbwahrheiten und das schreiende Unrecht des Systems haben Staeck in der DDR vor allem eins gelehrt: „Die Demokratie ist das Kostbarste, was wir haben. Wir müssen für sie kämpfen.“
Der Volksaufstand vom 17. Juni 1953 verlief in Bitterfeld besonders heftig. „Da waren Sie 15“, sagt Welzel, woraufhin Staeck erzählt, dass die Demonstranten von den russischen Armeeangehörigen sofort als Faschisten diffamiert worden seien – ganz pauschal. Wer inhaftiert wurde, stand in den Zellen im Wasser. „Rein in den Zug, auf in den Westen“, das sei die beste Lösung gewesen. Die Mauer war noch nicht gebaut. In Heidelberg angekommen, lagen für Staeck dennoch etliche Steine im Weg. 1957 musste er am Bunsen-Gymnasium das Abitur nachholen, weil sein DDR-Schulabschluss nicht anerkannt wurde. „Ich war kein guter Schüler, vor allem bei den Sprachen haperte es, aber ein Freund half mir über die Hürden.“ Wieder einmal Glück gehabt, wie so oft. Getrübt wurde dieser Eindruck nicht einmal durch den ätzenden Schweißfußgeruch eines Mitbewohners in jenem Vierbettzimmer an der Neuenheimer Landstraße, wo Staeck in jungen Jahren lebte.
Anschließend Jura-Studium und erste künstlerische Erfolge mit Collagen, Multiples und Grafiken. Letztere machten ihn als Künstler berühmt. Rund 300 satirisch-subversive Plakate schuf Staeck in seiner „Arbeitshöhle“ an der Ingrimstraße mitten in der Heidelberger Altstadt, gezeigt wurden sie weltweit bei ca. 3000 Ausstellungen. „41 Prozesse mussten Sie ihretwegen führen“, ergänzt Welzel, „die meisten haben Sie gewonnen, nur wenige endeten mit einem Vergleich.“ Den Kopf in den Sand habe er nie gesteckt, kontert Staeck, auch nicht während der Verfahren des Rüstungskonzerns Rheinmetall und fünf seiner Vorstände gegen das Plakat „Alle reden vom Frieden – Wir nicht.“ Die Konzernlenker waren darauf mit Munition zu sehen. „Sie präsentierten sie wie Mütter ihre Babys, einfach obszön.“ Vor Gericht setzte sich Staeck während dieser Prozesse durch, „weil die Freiheit der Kunst und des Worts essenzielle Werte unserer Demokratie sind“.
Umweltfragen, die Gefährdung der Demokratie durch Hetze im Internet, das Grauen in der Ukraine und im Nahen Osten, aber auch Staecks Freundschaft zum Literatur-Nobelpreisträger Heinrich Böll oder zum Ausnahmetalent Joseph Beuys sind weitere Schwerpunkte auf dem Podium. Dass Staeck als Wahlkämpfer auch ein Kanzlermacher für die SPD gewesen sei, wie der RNZ-Chefredakteur ironisch anmerkt, stellt der Künstler jedoch in Frage. „Die meisten haben sich ja nicht durchgesetzt.“ Trotz seiner jahrzehntelangen SPD-Parteimitgliedschaft habe er inzwischen seinen Frieden mit der CDU gemacht, ergänzt er, „denn die Demokratie braucht die Balance“. Nur mit den Grünen hadert er. Zu kleinbürgerlich-verbohrt kämen sie ihm vor. „Ich kenne dieses Milieu, ich komme selbst aus dem Kleinbürgertum.“
Kaum hat er das gesagt, steuert das RNZ-Forum schon seinem Ende entgegen. „Was, schon vorbei?“, fragt Staeck ungläubig. „Schade, es war ein wunderbares Gespräch.“ Ein Statement, das durch den kräftigen Applaus des Publikums bestätigt wird.
Zitate von Klaus Staeck über. . .
> …seine Mutter: „Sie war eine großartige Frau, ich habe enorm viel von ihr gelernt. Auch auf dem Schwarzmarkt in Leipzig, wo sie Koffer voller Kleinigkeiten verkaufte. Eines Tages rannten alle weg, nur meine Mutter blieb da. Razzia, sie wurde ertappt und musste der Polizei alles abgeben. Dann hat sie uns Kinder aufgefordert loszuheulen. Das taten wir so lautstark, dass die Polizei einknickte und alles zurückgab.“
> … die Studentenrevolte von 1968: „Ich gehörte nie dazu. Besonders schlimm fand ich, als sie den Keller der Alten Universität aufbrachen, wo historischen Plakate lagerten. Ein Hausmeister hat sie gerettet, für ihn kaufte ich ein besonders sicheres Vorhängeschloss. Das muss man sich einmal vorstellen: Ein Hausmeister zeigt mehr historische Verantwortung als protestierende Studenten!“
> … Christos Verhüllung des Heidelberger Amerikahauses 1969: „Das war eine anarchische Zeit, wir proklamierten aus Protest gegen die muffige Linie des Kunstvereins die Kunst für alle. Eigentlich wollte Christo das Schloss verhüllen, aber dann sagte man uns, das sei der reinste Wahnsinn. Die Ruine könne einstürzen. Die Verhüllung des Amerikahauses hat nur drei Tage gedauert. Zum Glück. Von der rutschigen Folie auf dem Dach hätte jemand abstürzen können.“
> … die Akademie der Künste in Berlin: „Sie wäre nach der Wende beinahe aufgelöst worden, 300 Jahre nach ihrer Gründung. Als ein Präsident gesucht wurde, gab es keine Kandidaten. Ich kam in die Findungskommission – und dann hieß es: Mach’ Du’s doch! Als ich’s dann gewählt war, fragte ein Passant, ob ich einen Dienstwagen hätte. Nein, sagte ich, und er konterte: ,Dann sind Sie kein richtiger Präsident’.“
> … seinen Bruder, mit dem er seit Jahrzehnten in Heidelberg zusammenarbeitet: „Hmmm, wieso wir uns so gut verstehen? Das frage ich mich manchmal auch.“
> … seine Künstlerfreunde: „Joseph Beuys war meine Bank, er hat mir sehr geholfen. Genauso viel zu verdanken habe ich Heinrich Böll, Bernt Engelmann oder Dieter Hildebrandt.“
> … das Parteienspektrum: „Sprechen Sie mich nie auf die Grünen an!“
> … sein Durchsetzungsvermögen: „Ich kenne alle Tricks und weiß, wie man wo auftreten muss.“
> … seine Archiv-Schätze: „Vieles gehört schon der Akademie der Künste, die haben eine ganze Etage für mich am Robert-Koch-Platz in Berlin freigeräumt. Ob Teile als Schenkung in Heidelberg bleiben, ist noch nicht klar. Ich bin ein notorischer Sammler von allen möglichen Dingen und trenne mich nicht gerne von meinen Sammlungen. Das ist mein wunder Punkt. Mit Briefmarken fing alles an, die haben mir die Welt erklärt.“
> … seinen Optimismus: „Ich habe ein tolles, wunderbares Leben gelebt und habe hoffentlich nicht zu viele Menschen mit meiner Hartnäckigkeit belästigt.“ (voe)