Interview mit NDR Kultur, Ulrich Kühn.
05.03.2018 19 Uhr, Kulturjournal
66,02 Prozent – die Zustimmung der SPD-Mitglieder, die sich am Entscheid für oder gegen die Neuauflage der Großen Koalition beteiligt hatten, fiel deutlicher aus, als die allermeisten erwartet hatten. Jetzt ist Klarheit da – aber mit welcher Perspektive? Zu den prominenten seit Jahrzehnten kritisch-engagierten SPD-Mitgliedern gehört Klaus Staeck. Er ist Künstler, Jurist, war neun Jahre lang Präsident der Akademie der Künste Berlin und wurde vor wenigen Tagen 80 Jahre alt.
Herr Staeck, letzte Woche hatten Sie Grund, persönlich zu feiern. Wie war das gestern, als das Ergebnis veröffentlicht wurde, kam die Feierlaune zurück?
Klaus Staeck: Nein, ich habe den 80. Geburtstag nicht gefeiert – ich bin kein Feiertyp. Aber gestern gab es schon eine gewisse Erleichterung. Ich habe auch pro GroKo gestimmt; manche hat das überrascht. Ich habe auch sehr viele Diskussionen in meinem Freundes- und Bekanntenkreis gehabt. Das fand ich überhaupt das Beste an der ganzen Geschichte, dass man wieder über Politik redet, über die Vorzüge und die Nachteile, nicht bloß der Großen Koalition, sondern welche Politik künftig gemacht wird. Ich bin jemand, der auf jeden Fall immer gegen das „Weiter so“ gewesen ist, aber ich glaube, wir hatten die Wahl zwischen Pest und Cholera.
Im November hatten wir mit Ihnen gesprochen, als die Jamaika-Sondierungen gescheitert waren und es wahrscheinlicher wurde, dass wieder über eine Große Koalition verhandelt würde. Sie waren damals sehr klar: „Die SPD wäre geradezu selbstmörderisch, wenn sie mit Frau Merkel noch einmal in dasselbe Koalitionsbett steigt, um dann noch schwächer daraus hervorzugehen.“ Jetzt haben Sie gesagt, Sie waren erleichtert – da müssen Sie einen gewissen inneren Weg zurückgelegt haben. Was ist da passiert?
Staeck: Ich kann nur in Alternativen denken. Was wäre denn gewesen? Es gibt immer Entwicklungen. Alle hatten gehofft – so merkwürdig das aus meinem Mund klingt -, dass Jamaika klappt. Nun haben wir eine neue Situation gehabt, und Neuwahlen konnte sich niemand im Ernst wünschen. Und wenn wir mehrheitlich gegen diese Große Koalition gestimmt hätten, was glauben Sie, wie Ihre Medienvertreter über uns hergefallen wären, was sie ohnehin zum großen Teil tun, nach dem Motto: Die SPD ist daran schuld, dass wir immer noch keine Regierung haben.
Keine Freude, keine Feier – das wäre ja noch absurder. Ich habe mir den Koalitionsvertrag durchgelesen – den es noch nicht gab, als ich das neulich sagte -, und darin sind sehr viele sozialdemokratische Positionen festgehalten. Und wenn die Minister-Riege dann endgültig aufgestellt wird, sind auch viele CDU-Leute richtig sauer, dass wesentliche Ministerien an die SPD gehen sollen. Wir haben eine schwierige Lage – das heißt aber nicht, dass wir deprimiert sein oder resignieren sollten. Ich bin ein Aktivist – früher hätte man Kämpfer gesagt – und ich werde weiter dafür kämpfen, dass wir eine soziale und gerechte Politik in diesem Lande behalten.
Man hatte sich in der SPD-Führung vor dem Votum der Basis ein bisschen gefürchtet, erst recht nach dem knappen Ergebnis auf dem Parteitag. So knapp ist es nun gar nicht geworden. Fehlt es dieser Führung an Fühlung für die Regungen, auch die vernunftgeleitete Einsichtsbereitschaft in den Ortsvereinen?
Staeck: Das weiß ich gar nicht. Es wird immer von der Basis so viel schwadroniert. Wenn ich nur meine Basis angucke, bin ich nie vor Überraschungen sicher, wenn man in die nächste Ortsvereinssitzung geht, wer gerade kommt. Ich glaube, dass die Leute sich am Ende doch vernünftig verhalten haben. Was wäre denn gewesen, wenn es zu keiner GroKo gekommen wäre? Es wäre eine Endlosschleife geworden von wechselseitigen Beschimpfungen. Und die Rede von der gespaltenen Partei, das kann ich auch nicht mehr hören. Ich war schon in so vielen Talkshows in meinem Leben, und die sind immer darauf angelegt, dass es da ein bisschen Krawall gibt. Von der Medienseite her verstehe ich das, aber von der Parteiseite her wäre das schon eine Art Harakiri geworden, so wie die Lage im Augenblick ist.
Jetzt wird aus allen Richtungen der Ruf nach Erneuerung laut, seitens der Parteiführung, ohnehin seitens der Anhänger von Juso-Chef Kevin Kühnert, der gegen die Große Koalition gekämpft hatte. Haben Sie schon verstehen können, welche Erneuerung genau gemeint ist?
Staeck: Das würde ich auch gerne mal wissen, was mit der Erneuerung gemeint ist. Das klingt immer so schön. Außerdem will doch niemand Stillstand – es erneuert sich sowieso immer alles, da muss man gar nichts dran tun. Sondern die Außenverhältnisse zwingen einen dazu, die Digitalisierung, die bei manchen Leuten Angstschweiß hervorbringt.
Ich weiß nicht genau, was damit gemeint ist. Will man die Leute austauschen? Oder neue Themen bringen? Auf jeden Fall weiß man, dass man bei den letzten Wahlen mit Mühe und Not auf 20 Prozent gekommen ist. Unser Problem bei der letzten Wahl war, dass wir das Gerechtigkeitsthema nach vorn geschoben haben – was ich zunächst ganz gut fand. Aber ich habe das Gefühl, dass viele, für die wir da kämpfen, schon lange nicht mehr zur Wahl gehen.
Wie sehen Sie die Zukunft der SPD?
Staeck: Hoffentlich positiv. Ich kann ihr trotzdem nicht raten, dass sie so eine Schlafwagen-Partei wird, wie ich zum Teil die CDU wahrnehme. Das Gerede von den Alt-Parteien – davor kann ich nur warnen. Was wäre denn, wenn man die großen Alt-Parteien, CDU und SPD, nicht hätte? Soll dann „Bertelsmann“ entscheiden oder das „Bild“-Parlament? Es wird noch viel Unsinn geredet. Ich habe in letzter Zeit mit derart vielen Leuten gesprochen, die einen spontan ansprachen: Sie sind doch der von der SPD – sind Sie dafür oder dagegen? Und sofort war man in einem Gespräch. Das verstehe ich unter lebendiger Demokratie. Da geht man immer ein Risiko ein. Ich habe jetzt nach 58 Jahren, in denen ich in der SPD bin, festgestellt: Man muss auch, wenn man Parteimitglied ist, eine gewisse Leidensfähigkeit mitbringen.