Kolumne vom 14.10.2021
„Das Kapital fährt im Ferrari durch die Welt,“ hörte ich kürzlich den Bundesvorsitzenden der Deutschen Steuergewerkschaft sagen, während seine Kolleginnen und Kollegen höchstens mit einem VW ausgestattet seien.
Für das anschauliche Bild gibt es täglich neue Beispiele, dafür mußte nicht mal die Büchse der Pandora-Papers medienwirksam geöffnet werden. In deutschen Finanzämtern sind 6000 Stellen unbesetzt. Hierzulande wie weltweit hat das kriminelle Bereicherungssystem freies Spiel und die Steuervermeider arbeiten generell schneller als die Gesetzgeber. Ich habe deshalb meine Zweifel, ob das „Steueroasen-Abwehrgesetz“ in absehbarer Zeit einer Industrie, die sich auf aggressive Steuerplanung und -vermeidung spezialisiert hat, das Handwerk legen kann. Es geht darum, Geschäftsvorgänge mit Ländern oder Gebieten zu sanktionieren, die auf einer für die EU geltenden »schwarzen Liste« stehen. Gerade erst wurde bekannt, dass sich die europäischen Finanzminister darauf geeinigt haben, die Seychellen von der Oasen-Liste zu streichen und die berüchtigten britischen Jungferninseln nicht mal im entferntesten befürchten müssen, auf dieselbe gesetzt zu werden.
Im EU-Parlament verurteilten vorige Woche Redner fast aller Fraktionen, dass diese eigenartig lückenhafte Liste die Glaubwürdigkeit der ganzen Institution im Kampf gegen Steuerflucht und Geldwäsche untergräbt. Offenbar hatten die in Strasbourg tagenden Parlamentarier deutlich andere Vorstellungen von effektiven Maßnahmen im Kampf gegen das gigantische internationale Netz als die EU-Ratsmitglieder, denen es vor allem darum geht, die schwarze und die graue Liste von verdächtigen europäischen Staaten freizuhalten. Die europäische Kommission müsse endlich auf den Tisch hauen und die Nutznießer bloßstellen, hieß es vielsprachig im Parlament. Schließlich gehe es um Milliarden, die den öffentlichen Haushalten der Mitgliedsstaaten entzogen werden. Immerhin beschloss das Kabinett in Dublin gerade – auf Druck der OECD -, den Steuersatz für Firmen mit einem Umsatz von mehr als 750 Millionen Euro auf 15 Prozent zu erhöhen. Ist das ein Anfang, dem Luxemburg, Malta, Zypern oder die Niederlande folgen? Denn bisher haben die Nutznießer von Dumping-Steuersätzen jede Veränderung verhindert. Das gilt auch und vor allem für den Mißbrauch von Briefkastenfirmen, die bei der globalen Steuervermeidung eine Schlüsselrolle spielen. Aber, was heißt global? Auch hierzulande ist es bislang aussichtslos, fiktiven und echten Unternehmen, die lediglich mit einem Namensschild auf dem Briefkasten existieren, die Geschäftstätigkeit zu untersagen. Zossen bei Berlin hat seit 15 Jahren Firmen aller Branchen mit 7 % Gewerbesteuer (seit diesem Jahr immerhin 9%) angelockt, während in der Hauptstadt 14 % fällig sind. Manche Häuser in Zossen kommen auf 200 Firmenadressen, die nur damit auffällig werden, dass die Post aus dem Briefkasten geholt wird. Angeblich ist nach Steuerrecht entscheidend, wo sich die tatsächliche Betriebsstätte befindet. Aber die Finanzämter sehen das offenbar locker und das Gewerbesteuergesetz läßt genügend Lücken für die Kreativen unter den Steuerflüchtlgen offen. Wenn Finanzpolitiker immer noch der Meinung sind, Kommunen könnten ihre Standortnachteile ausgleichen wenn sie kleine regionale Steueroasen mit sprudelnden Einnahmen bewässern, dann ist das einfach asozial und unsolidarisch. Zossen bekommt das gerade zu spüren. Ganz in der Nähe liegt die prosperierende Flughafengemeinde Schönefeld – mit noch niedrigerem Steuersatz.
Die Kolumne erschien am 14.10.2021 in der Frankfurter Rundschau. Für Unterschiede zum gedruckten und online in der FR erschienenen Text (Verwendung des „Gendersternchens“) ist die Redaktion zuständig.