Sie denken schon an den Tag danach

Kolumne vom 08.02.2024

Die Zahl und Dichte von Kolumnen, die sich dem AfD-Thema widmen, hat unter den Ko-Autoren in den letzten Wochen beträchtlich zugenommen. Da stellt sich schon die Frage, ob wir der Höcke-Weidel-Partei nicht sogar einen Dienst erweisen, indem wir den Aufmerksamkeitsquotienten weiter in die Höhe und noch mehr Demokratieverächter in ihre Arme treiben. Andererseits: wer ständig die Frankfurter Rundschau liest, sollte sich einer gewissen Immunität sicher sein: auch diese Zeitung sorgt für anhaltendes Problembewußtsein, dass die Auseinandersetzung mit den Rechtsextremen für die nächsten Jahre relevant bleiben wird.

Heute geht es mir nicht um den provokativen Auftritt eines beliebigen AfD-Redners im Bundestag, die Lust am Zündeln mit verbalen Knallkörpern, um auf der einen Seite Empörungsrituale zu erwecken und auf der anderen die „endlich sagts mal einer“-Reaktion potentieller Wutbürger. Mich interessiert mehr der Hintergrund. Was speist das Denken und das Planen der Ultrarechten? Hat da schon jemand ein Theoriegebäude für die postdemokratische Gesellschaft entworfen? Sind die Strategiepapiere der Machtübernahme etwa schon geschrieben? Wer mehr dazu erfahren will, sollte sich im Verlagsprogramm des Antaios Verlages umschauen, der bereits vom Bundesamt für Verfassungsschutz als „rechtsextrem“ unter Beobachtung gestellt wurde. Götz Kubitschek steht nicht nur für den Verlag, er hat in Schnellroda an der Landesgrenze von Sachsen-Anhalt zu Thüringen auch ein „Institut für Staatspolitik“ installiert. Für Kubitschek ist die AfD, der er, freundschaftlich verbunden mit Höcke, seit Jahren beratend assistiert, nur eine „parteipolitische Notwendigkeit“. Er denkt viel weiter als es die Vertreter einer „konservativen Revolution“ vorgaben. Bestens vernetzt mit dem Identitären Sellner (längst vor dem skandalisierten Potsdamer Auftritt), dessen „Regime Change von rechts“ gerade in 4. Auflage bei Antaios erscheint, widmet er sich vor allem jenen Autoren, die den radikalen Politikwechsel eines „Vorbürgerkriegs“ im Sinne haben.

Höcke schwört auf ein Bändchen, das ihm wohl als Leitfaden seiner Argumentationen dient: „Systemfrage. Vom Scheitern der Republik und dem Tag danach“. Der Autor Kleine-Hartlage, immerhin diplomierter Sozialwissenschaftler, beschrieb schon vor zwei Jahren die „schleichende Umwandlung der BRD in ein totalitäres Staatswesen“, ein „Kartell“, geführt von Repräsentanten mit „psychopathischen Persönlichkeitsstörungen“. Wahlen brächten keine Änderung mehr, deshalb seien „andere Akteure“ gefragt, um den „Rechtsruck“ mit Parteienverboten, totaler Herrschaft über die Massenmedien und juristischer Verfolgung von Politikern der Alt-Parteien auszulösen. 

Höcke verkündete seine Begeisterung über diese „brilliante“ Studie öffentlich in einem Telegram-Post: „Die Melange aus berechtigter Wut über die unhaltbaren Zustände, dem profunden Wissen und der messerscharfen Analyse, die sich in der ‚Systemfrage‘ verdichtet hat, macht sein neuestes Buch jedoch zu etwas ganz Besonderem“. 

Wer bei den anstehenden Wahlen zum Europaparlament und in den drei Bundesländern sein Kreuz der AfD spendet, dem sollte klar sein, worauf er sich einläßt. 

„Natürlich könnt ihr diese Partei wählen. Aber ihr könnt nicht behaupten, Ihr habt von nichts gewußt!“ hörte ich kürzlich der Kabarettisten Wilfried Schmickler sagen. Das war bei der Aachener Ordensverleihung „Wider den tierischen Ernst“. Da war mir, karnevalistisch ohnehin immun, nicht zum Lachen zu mute.

Die Kolumne erscheint am 08.02.2024 in der Frankfurter Rundschau.

Ein Gedanke zu „Sie denken schon an den Tag danach“

  1. Hallo Herr Staeck,
    angeregt duch Ihren Kommentar habe ich mich etwas intensiver auf den Seite des Antaios Verlages umgesehen.
    Das ist mit Sicherheit sehr wichtig, alleine um den eigentümlichen Kontext-Zauber“, den „obskuren Konstruktivismus“ der Autoren nur schon in den Kurzbeschreibungen zur Kenntnis zu nehmen. Ich halte das leider! nie lange aus, weil mich das
    körperlich in Wallungen und Rage versetzt.
    Ich greife willkürlich ein Buch exemplarisch auf. Eines das jeder Konservative Politiker lesen sollte.

    Alex Kurtagic
    Warum Konservative immer verlieren
    Der PR-Mann und Publizist Alex Kurtagic plädiert in dieser Essay-Sammlung für dreierlei:
    1. Die Rechte muß ästhetisch aufrüsten und einen Stil entwickeln, der sich auch auf ein popkulturelles Niveau herunterbrechen läßt. Nur so ist in der Massengesellschaft metapolitisch etwas zu erreichen.
    2. Die Rechte muß ihre Träumer und Randfiguren, ihre Exzentriker und politischen Romantiker in Ehren halten und genau beobachten: Der kühne Wurf gelingt nicht dort, wo Vorsicht und Vernunft walten!
    3. Die Rechte muß sich von den Konservativen lösen: Letztere sind nur anders angepinselte Liberale und verlieren alles – nur eben langsamer.
    Provozierende Thesen, fein übersetzt von Martin Lichtmesz, der überdies ein Nachwort beigesteuert hat.
    PS:
    Hier sieht man wie sich „Geschichte“ wiederholen kann: die „ehrlichen“Konservativen sind nur Steigbügelhalter!
    Über Martin Lichtmesz findet sich ganz offenherzig etwas auf wikipedia ebenso über Alex Kurtagic der auch eine eigene Website hat – https://www.alexkurtagic.info/
    Außerdem fand ich dabei diese „aufschlussreiche Seite“ https://www.youtube.com/@DieGegenUni
    Gruß
    PaulH

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