Solidarität mit dem russischen Menschenrechts-Aktivisten Oleg Orlow!

Oleg Orlow wurde am 27.02.2024 zu zweieinhalb Jahren Lagerhaft verurteilt. Als Mitglied der Menschenrechtsorganisation MEMORIAL war er an der Seite von Sergej Kowaljow mehrfach zu Gast in der Akademie der Künste.

Als Ehrenpräsident der Akademie protestiere ich gegen dieses Gesinnungsurteil. Es wurde verhängt, weil Orlow nach dem russischen Einmarsch in einem in der französischen Internetzeitung Mediapart  veröffentlichten Artikel die Aggression gegen die Ukraine einen Krieg nannte. „Sie wollten den Faschismus, sie haben ihn bekommen“, lautete der Titel. Das Urteil gegen Oleg Orlow richtet sich auch gegen die inzwischen verbotene Organisation MEMORIAL.

Gegen eine zunächst angeordnete Geldstrafe hatte die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt und forderte wegen „Diskreditierung“ der russischen Armee eine härtere Bestrafung. Orlow sei beim Verfassen des Artikels von Feindseligkeit „gegen traditionelle russische spirituelle, moralische und patriotische Werte“ sowie Hass auf das russische Militär geleitet gewesen.

Akademiepräsident György Konrád hatte im März 2003 Oleg Orlow und Sergej Kowaljow (v.l.n.r.) als Repräsentanten von MEMORIAL nach Berlin eingeladen.

Die Einladung folgte einer Tradition der Akademie, Vertretern der russischen Opposition und Zivilgesellschaft ein öffentliches Podium zu bieten. So begrüßte bereits 1996 Walter Jens Lew Kopelew. Grigorij Jawlinsky, den damaligen Vorsitzenden der oppositionellen Jabloko-Partei, lud die Akademie zu Vorträgen in Berlin und Potsdam ein.

Nach der Annexion der Krim durch russische Truppen, die 2014 den Beginn des Überfalls auf die Ukraine einleitete, legte ich als Präsident Wert darauf, dass sich die Akademie der Künste für die Freilassung des inhaftierten ukrainischen Regisseurs Oleg Senzow engagiert. Die Akademie lud in der Folgezeit ukrainische Schriftsteller und Künstler zu Akademie-Gesprächen ein, um ihnen ein Forum für den Protest gegen die aggressive russische Politik gegen die Souveränität der Ukraine zu geben.

Nun also, wenige Tage nach dem Tod Alexej Nawalnys in einem sibirischen Lager, wird ein aufrechter Kämpfer gegen politische Willkür in ein solches Lager deportiert. Orlow hatte seinen Anwälten untersagt, Zeugen für seine Verteidigung aufzurufen. Er wollte damit verhindern, dass seine Unterstützer auf derselben Liste potentieller Häftlinge landen, gesellschaftliche Ächtung oder ein Berufsverbot erfahren. Auf einem Video der Organisation MEMORIAL ist zu sehen, wie dessen Co-Vorsitzendem Orlow nach der Urteilsverkündung noch im Gerichtssaal Handschellen angelegt wurden. Orlows sagte gegenüber Journalisten am Vortag der Urteilsverkündigung: „Ich bin in Russland geblieben, um meine Arbeit fortzusetzen, die ich seit vielen Jahren ausübe. Ich betrachte mein Verfahren auch als Teil meiner Menschenrechtsarbeit.“

Es heißt, dass Orlow während der Gerichtsverhandlungen, die sich nicht mit dem Inhalt seines Artikels sondern nur mit dessen Überschrift befaßten, demonstrativ Franz Kafkas „Der Prozess“ las. Im Schlusswort vor Gericht zog er das Resümee: „Wie soll man das politische System, unter dem das alles geschieht, auch nennen? Leider hatte ich in meinem Text recht. Es gibt keine Freiheit in Wissenschaft, Kunst, Privatleben. Willkür wird als Einhaltung pseudolegaler Verfahren getarnt. Selbst gegen den toten Nawalny führen die Behörden Krieg. Kafkas Held erfuhr nie, was ihm vorgeworfen wurde. Mir hat man den Vorwurf formal mitgeteilt, ihn zu verstehen ist unmöglich.“

Orlow ist einer der wenigen russischen Oppositionellen, die bisher nicht im Gefängnis oder im Exil waren. Mit der Organisation Memorial hat er den Großteil seines Lebens damit verbracht, Rechtsverletzungen zu dokumentieren. Die russischen Behörden hatten Memorial im Dezember 2021 aufgelöst. Die 1989 gegründete Organisation dokumentierte mehr als 30 Jahre lang die Verbrechen der ehemaligen Sowjetunion. Dafür wurde sie 2022 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

„Ich bedaure und bereue nichts“, Schlußwort Oleg Orlows vor Gericht

Am 27.2.2024 wurde der Bürgerrechtler Oleg Orlov in Moskau zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Der Vorwurf: Er habe Russlands Armee diskreditiert. Der 1953 geborene, ausgebildete Biologe Orlov beteiligte sich 1988 an der Gründung der Menschenrechtsvereinigung Memorial. In den 1990er Jahren dokumentierte er Menschenrechtsverletzungen in den postsowjetischen Kriegen, zunächst vor allem im Südkaukasus, dann in Tschetschenien. Von 1999 bis zur gerichtlich verfügten Auflösung von Memorial im Dezember 2021 leitete er die Nordkaukasus-Arbeit der Organisation. Im März 2023 wurde ein erstes Strafverfahren gegen den damals 70-Jährigen eröffnet, in dem er zu einer Geldstrafe verurteilt wurde. Die Staatsanwaltschaft focht das Urteil an. Zum Wesen der Vorwürfe und des Prozesses hat Orlov in seinem Schlusswort vor Gericht am 26.2.2024 alles Notwendige gesagt. Die in Berlin erscheinende Zeitschrift OSTEUROPA dokumentiert dieses Schlusswort.

Übersetzung aus dem Russischen von Volker Weichsel. Quelle: Menschenrechtszentrum Memorial, https://memorialcenter.org/news/poslednee-slovo-orlova.

Wir danken Dr. Manfred Sapper und Dr. Volker Weichsel von OSTEUROPA für die Erlaubnis zur Veröffentlichung des Textes, der über den folgenden Link zugänglich ist:

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