Kolumne April 2016
Von Kurt Tucholsky stammt die Behauptung: Die Satire darf alles. Und bei jemandem wie mir, der sich seit fünf Jahrzehnten gerichtsbewährt aktiv den Möglichkeiten der Satire widmet, kommt in diesen Tagen zunächst Freude auf – wenn auch bittere. Denn diese Kunstform hat erneut nicht nur bewiesen, was sie darf, sondern vor allem, was sie kann. Nach unseren Maßstäben im Umgang mit Satire verschiedenster Spielarten war die gewaltige Aufregung um den Fernsehbeitrag über den türkischen Autokraten Recep Tayyip Erdoğan und seine wütende Reaktion darauf überraschend.
Das Zwei-Minuten-Stück auf NDR-„extra3“ über sein undemokratisches Treiben war sauber recherchiert, handwerklich gut gemacht, frech – Aufklärung pur. Denn die Satire verteidigt die unverschuldet Schwachen gegen den Übermut der Starken. Der Erdoğan-Beitrag hat die Angriffe des Allein-Herrschers auf Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei kenntlich gemacht. Dass die Journalisten derzeit einen der gefährlichsten Berufe ausüben und bei jeder noch so leisen Kritik an dem Despoten einen Gefängnis-Aufenthalt riskieren, ist hinlänglich bekannt. Auf die Wahrheit ist im Sultanat Erdoğanein Kopfgeld ausgesetzt; sie steht unter Spionageverdacht. Europa hat diese demokratiefeindliche Entwicklung mehr oder weniger zähneknirschend zur Kenntnis genommen und sich an die Übergriffe gewöhnt.
Die heftigen Attacken auf den Beitrag erwecken den Eindruck, Erdoğanwolle die erhobenen Vorwürfe noch überbieten. Denn nicht anders ist zu erklären, dass er über den einbestellten deutschen Botschafter die Weiterverbreitung des beanstandeten Stückes verhindern will. Offenbar gehen seine Allmachtsansprüche schon so weit, die undemokratischen Verhältnisse in der Türkei par ordre du mufti auf unser Land übertragen zu wollen. Erschreckend bleibt der erkennbare Verlust an Realitätssinn – oder soll man es Dummheit nennen. Auch bei nur geringer Kenntnis unseres gesellschaftlichen Umgangs miteinander musste er davon ausgehen, dass er der Verbreitung der Sendung den höchsten Dienst erweist, zumal das Netz sich stets in Lauerstellung bereithält. Dummheit oder nicht, es ist die völlig überzogene Reaktion dieses Mannes, die ihn lächerlich erscheinen lässt, aber gleichzeitig auch so gefährlich macht. Es sind die Distanz- und Humorlosen, die man sehr ernst nehmen und denen man misstrauen sollte.
Wann schafft es die Auseinandersetzung um die Satire schon einmal über Tage auf die Titelseiten der großen Blätter und in den Nachrichtenteil der Sender? Was vor allem durch die Wutrede Erdoğans ausgelöst wurde, ist die nachgeholte breite Debatte über den von EU und Merkel mit der Türkei ausgehandelten Flüchtlings-Deal. In welches Land werden eigentlich die vor Krieg und Verfolgung Geflohenen zwangsweise zurückgeschickt? Laut Amnesty International werden Teile ab Stichtag sogar wieder in jene Länder verfrachtet, aus denen sie geflohen sind. Ist das Teil des neuen „humanen“ Menschenhandels – oder wie soll man das sonst nennen? Seit wann ist ein nicht nur von Presse- und Meinungsfreiheit befreites Land nach unserer viel strapazierten Werteskala ein sicheres Herkunftsland, das sich noch dazu um einen EU-Beitritt bemüht? Was hat diese kurze satirische Sequenz dank Erdoğans Intervention nicht alles an Debatten ausgelöst. Es ist an der Zeit, wieder einmal auf die Vorzüge der Demokratie hinzuweisen, in der die Satire zu ihren Wesensmerkmalen zählt. „extra3“ sei Dank.