Um dem Anspruch des christlichen Abendlandes gerecht zu werden, muss die EU ihre Flüchtlingspolitik endlich ändern.
Laut einem Bericht des UN-Hilfswerks gibt es im Dezember weltweit mehr als 80 Millionen Flüchtlinge. Das entspricht in etwa der Anzahl der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland. Nur ein Beispiel, das uns über die Verhältnisse jenseits der Flüchtlingslager auf den griechischen Inseln erreicht: Im Camp Lipa im Nordwesten Bosniens kampieren derzeit bei winterlichen Temperaturen 1400 Flüchtlinge in Plastikzelten.
Weihnachten, dieses wohl deutscheste Familienfest, ist übrigens die alljährliche Erinnerung an die Geburt Jesu Christi. Bei Wikipedia findet man unter dem Stichwort „Flucht nach Ägypten“, mit Hinweis auf das Matthäus-Evangelium, eine alltagstaugliche Erklärung für den Aufbruch: „Nachdem die Weisen aus dem Morgenland abgereist waren, erschien Josef ein Engel im Traum. Dieser befahl ihm, mit Maria und Jesus nach Ägypten zu fliehen.“ Die Vorgeschichte mit dem Stroh in der Krippe im Tierstall als Herberge für die Gestrandeten ist nicht nur den weihnachtlichen Gottesdienstbesuchern wenigstens in Ansätzen vertraut.
Spätestens durch das lawinenhafte Ansteigen der Bitten um Spenden im eigenen Postfach seit Anfang Dezember wurde wohl nicht nur ich daran erinnert, dass Weihnachten naht. Alle Organisationen und Initiativen hier aufzuzählen würde den Rahmen dieser Kolumne bei weitem sprengen.
So gar nicht zur Weihnachtsseligkeit passt die Tatsache, dass die Union den Abschiebestopp nach Syrien beenden will; einem Land, das nach Meinung des niedersächsischen Innenministers Boris Pistorius von einem „Verbrecherregime“ regiert wird. Für ‚Pro Asyl‘ ist das „ein menschenrechtlicher Dammbruch. Ein Folterregime wird nun salonfähig gemacht.“ Da es zu Syrien weder diplomatische Beziehungen noch Direktflüge gibt, konkurriert diese populistische Forderung mit den ausländerfeindlichen Parolen der nationalistischen AfD.
Der Streit um die Asylpolitik spaltet Europa seit geraumer Zeit. Die derzeitige besonders christliche polnische Regierung verweigert sich inzwischen ganz der europäischen Solidarität, indem sie keine Flüchtlinge mehr aufnimmt. Auch der ungarische Regierungschef beschäftigt sich lieber mit der partiellen Einschränkung der Meinungsfreiheit in den Medien seines Landes, statt einen Beitrag zur Beendigung des Flüchtlingselends an den Südgrenzen unseres Kontinents zu leisten.
Ich erinnere mich an eine meiner ersten Kolumnen im Juli 2007 mit der Überschrift „Beifang“. Anlass war ein Foto, das damals durch die Weltpresse ging. Es zeigte einen weiten Ring eines riesigen Thunfischkäfigs im Mittelmeer, an den sich 27 Afrikaner klammerten. Der Kapitän des Trawlers hatte die unerwünschte menschliche Fracht vor der maltesischen Küste drei Tage im Schlepptau. Der christliche Seefahrer und viele vorbeifahrende Schiffe sahen dabei zu, wie lange sich die Flüchtlinge am Käfigrand festhalten würden. Schließlich erbarmten sich ihrer italienische Marinetaucher und brachten sie auf die Ferieninsel Lampedusa.
Das ereignete sich vor dreizehn Jahren. Seitdem sind im Mittelmeer Zehntausende bei dem Versuch ertrunken, dem vielfältigen Elend in ihren Ländern zu entfliehen. Inzwischen hält sich Europa die Organisation Frontex. Deren einzige Aufgabe besteht darin, auch mit illegalen Rückweisungen dafür zu sorgen, dass die Geflüchteten nicht mehr die rettende Südküste Europas erreichen. Um dem Anspruch des christlichen Abendlandes temporär gerecht zu werden, sollte die Jagd wenigstens über die Feiertage ausgesetzt werden.
Die Kolumne erschien am 24.12.2020 in der Berliner Zeitung und in der Frankfurter Rundschau.