Ein Sender und der Sumpf der Hetzer

RT DE sollte viele Kommentare von Nutzerinnen und Nutzern löschen. Bei einigen Elaboraten könnte auch ermittelt werden. Kolumne vom 13.01.2022

Die Informationsfreiheit kennt keine Grenzen. Jeder kann sehen und hören was er will. Was nicht über Kabel und Satellit ins Haus kommt, findet man im Internet. Wem das Gratisangebot nicht genügt, der zahlt Abogebühren. Da wundert es schon, welcher Wirbel gemacht wird, weil RT DE, ein russischer, staatlich finanzierter Propagandasender, keine deutsche TV-Lizenz für eine Satellitenübertragung bekommt.

Freilich, Youtube, nicht gerade für Sensibilität in seinen Onlineinhalten bekannt, hat RT im September zwei Zugänge gesperrt, weil die dort verbreiteten Falschinformationen über Covid 19 nicht mehr zu übersehen waren. Somit fiel ein wichtiger Kanal, aus dem deutsche Querdenker und Impfverweigerer Argumentationshilfe erfuhren, plötzlich aus. Aber die RT-Strategen in Moskau und in der Redaktion in Berlin-Adlershof wissen sich immer schnell zu helfen – RT läuft jetzt zum Teil über die Plattform Odysee, wo man sich auch viele Videoschnipsel der „Corona-Spaziergänger“ ansehen kann. Und außerdem ist die Internetseite RT DE immer auf dem aktuellen Stand.

Dort erfährt man, warum die Menschenrechtsorganisation Memorial als „ausländischer Agent“ verboten werden musste und dass „alle langsam wach werden sollten“ – natürlich im Sinne der deutschen Impfkritiker. Man sollte RT nicht wichtiger nehmen als es für die Mehrheit der deutschen Mediennutzer tatsächlich ist. Und dennoch darf man nicht die giftigen Sumpfblasen ignorieren, die der Sender zuläßt, wenn nicht sogar kultiviert. Die Rede ist von den Kommentarschreibern, die frei von jeder redaktionellen Verantwortung oder gar ethischen Massstäben im Untergrund arbeiten. Jeder Beitrag kann kommentiert werden und wer einmal eingestiegen ist, die Elaborate der RT-Konsumenten zu lesen, der muß gute Nerven haben, um aus dieser Tour durch Hass-, Ekel-, Tötungs- und Verschwörungsphantasien unbeschadet wieder aufzutauchen. Vieles davon läßt sich nicht mal in dieser Kolumne zitieren, weil Fäkalsprache und Hetze jedes Maß überschreiten. Als Portal für die Kommentarfunktion wird „Disqus“ genutzt – wie bei der Frankfurter Rundschau, nur dass hier die Redakteure Verantwortung tragen und Strafbares konsequent gelöscht wird.

Ganz anders bei RT DE. Ein Extremist, der es in den letzten vier Monaten auf mehr als dreitausend Einträge gebracht hat, nennt sich „Gopfrid Stutz“. Was man im Schweizerdeutsch mit „Gottverdammt“ oder schlimmer übersetzen kann. Der Autor lebt in Baden Württemberg, ist nach eigener Aussage promovierter Jurist, 66 Jahre alt und müßte, obwohl schon im Ruhestand, wissen, was § 130 und § 111 zum Inhalt haben. Nämlich „Volksverhetzung“ und „Öffentliche Aufforderung zu Straftaten“. „G.S.“ möchte mehrere Ministerinnen und Minister der neuen Regierung „am nächsten Baum aufgeknüpft“ sehen. Den bayerischen Gesundheitsminister sollte man hängen statt mit ihm zu reden. Das ist ein Tötungsaufruf, was sonst? Provokateuren, die mit Fackeln vor die Wohnhäuser von Politikern ziehen, wirft er Inkosequenz vor, weil sie die Häuser nicht abbrennen. Und erst vor wenigen Tagen wünschte er den beiden Kindern einer Politikerin den Tod. Es düfte nicht schwer fallen, den Klarnamen des Rufmörders zu ermitteln und ihm den Prozess zu machen, bevor schlimmeres passiert. Mittäter gäbe es dann auch in der RT-Redaktion. Ihre Selbstverpflichtung, Kommentare zu löschen, die Gewalt verherrlichen, zu kriminellem Verhalten aufrufen, Obszönität verbreiten, steht im Kleingedruckten – in der Praxis wird sie täglich sträflich missachtet.

Die Kolumne erschien am 13.01.2022 in der Frankfurter Rundschau.

Nachtrag: Die mehr als 3.300 Einträge, mit denen „Gopfrid Stutz“ auf den Internetseiten von RT DE seine Hassbotschaften und Todesdrohungen verbreitete, wurden noch am Erscheinungstag der Kolumne von von den Betreibern der Plattform DISQUS gelöscht.

Seit 17.01.2022 erscheint an Stelle der Leserkommentare auf den Internetseiten von RT DE folgender Eintrag:

Liebe Kommentatoren, wir schätzen die Möglichkeit, Ihnen mit der Kommentarfunktion eine Plattform zum gegenseitigen Austausch geben zu können, sehr. Leider müssen wir sie vorübergehend abschalten, bis wir effektive Mittel und Wege gefunden haben, sicherzustellen, dass diese nicht missbraucht wird. Das Kommentieren auf unserer Website soll für alle so sicher und wenig einschränkend wie möglich sein, Hass, Hetze und Beleidigungen jedoch ausschließen. Ihr RT DE Team

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Nachtrag: Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Baden-Baden vom 15.11.2022:

Volksverhetzung und Beleidigung gegen Personen des politischen Lebens

Die Staatsanwaltschaft Baden-Baden hat am 24.10.2022 die öffentliche Klage gegen einen 67jährigen deutschen Staatsangehörigen aus Baden-Baden erhoben und beim Amtsgericht Baden-Baden den Erlass eines Strafbefehls über eine Gesamtgeldstrafe von 300 Tagessätzen von 20 Euro beantragt. Dem Beschuldigten wird Volksverhetzung in 2 Fällen, Belohnung und Billigung von Straftaten in 4 Fällen, Beleidigung von Personen des politischen Lebens in 14 Fällen, Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole und weitere Straftaten zur Last gelegt. Der Beschuldigte soll zwischen Oktober 2021 und Januar 2022 in zahlreichen Fällen über eine Kommentarfunktion, die ein deutschsprachiger russischer Fernsehsender über einen Internetdienst anbietet, u.a. mehrere Mitglieder der Bundesregierung und von Landesregierungen in übelster Weise geschmäht, zu ihrer Ermordung aufgerufen, die Bundesrepublik Deutschland als „Deutsche Volldeppendiktatur“ beschimpft und rechtswidrige Taten in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich bzw. durch Verbreiten eines Inhaltes gebilligt haben. Beim Amtsgericht wurde zugleich die Einziehung des vom Beschuldigten genutzten Personal Computers beantragt.

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