Eigentlich sollte der FDP-Verkehrsminister in meinen Kolumnentexten nicht mehr vorkommen. Seine argumentativen Tricksereien zum Vermeiden einer von fast allen europäischen Staaten als vernünftig angesehenen Tempobeschränkungen sprechen für sich und die ultimative Drohung mit Fahrverboten haben den Minister disqualifiziert.
Wird Kompromissbereitschaft zunehmend durch Entweder-Oder-Konflikte ersetzt? Kolumne vom 04.04.2024
Jede dritte Amtsperson aus der Kommunalpolitik sagt laut einer Befragung, dass mündliche und schriftliche Anfeindungen, Beleidigungen, Bedrohungen und Übergriffe mittlerweile zum Berufsalltag gehören. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund schlussfolgert aus dieser Erhebung schon seit Jahren fatale Folgen für die lokale Demokratie.
„Hitzerekorde und Extremwetter sind, wie es scheint, das neue Normal. Das 2015 unterzeichnete Pariser Klimaschutzabkommen ist de facto gescheitert. Im Plakat Forum zeigt das MAK Plakate zum Thema Umweltverschmutzung und Klimawandel des Grafikdesigners, Juristen, politischen Aktivisten und frühen Mahners für die Umwelt, Klaus Staeck .“ (aus der Ausstellungsankündigung des MAK)
oder: Wer sucht den Ariadnefaden, der aus dem Krieg führt? Kolumne vom 07.03.2024
Ein leichtfertig offen geführtes Gespräch hoher Bundeswehroffiziere, ungeschützt vor gegnerischen Mithörern, hat die Lage nicht verändert. Die Bundesrepublik wird nicht Kriegspartei. Am Ende hat der Kanzler das Wort: Die direkte Beteiligung deutscher Soldaten in der Ukraine ist ausgeschlossen.
Auch die „Macht der Bilder“ wird daran nichts ändern. Kürzlich war das Foto einer lächelnden Dame im T-Shirt zu sehen, bedruckt mit dem Kopf eines fauchenden blauen Stiers (Taurus) auf gelbem Grund. Offensichtlich zeigte es den Minotaurus aus der griechischen Sagenwelt. Dieser ließ sich Jünglinge und Jungfrauen in sein Labyrinth bringen, so konnte Athen der Rache des Königs Minos entgehen. Bis endlich Held Theseus den Stier tötete und Dank Ariadnes Garnrolle den Weg zurück aus dem Labyrinth fand.
Oleg Orlow wurde am 27.02.2024 zu zweieinhalb Jahren Lagerhaft verurteilt. Als Mitglied der Menschenrechtsorganisation MEMORIAL war er an der Seite von Sergej Kowaljow mehrfach zu Gast in der Akademie der Künste.
Als Ehrenpräsident der Akademie protestiere ich gegen dieses Gesinnungsurteil. Es wurde verhängt, weil Orlow nach dem russischen Einmarsch in einem in der französischen Internetzeitung Mediapart veröffentlichten Artikel die Aggression gegen die Ukraine einen Krieg nannte. „Sie wollten den Faschismus, sie haben ihn bekommen“, lautete der Titel. Das Urteil gegen Oleg Orlow richtet sich auch gegen die inzwischen verbotene Organisation MEMORIAL.
Die Zahl und Dichte von Kolumnen, die sich dem AfD-Thema widmen, hat unter den Ko-Autoren in den letzten Wochen beträchtlich zugenommen. Da stellt sich schon die Frage, ob wir der Höcke-Weidel-Partei nicht sogar einen Dienst erweisen, indem wir den Aufmerksamkeitsquotienten weiter in die Höhe und noch mehr Demokratieverächter in ihre Arme treiben. Andererseits: wer ständig die Frankfurter Rundschau liest, sollte sich einer gewissen Immunität sicher sein: auch diese Zeitung sorgt für anhaltendes Problembewußtsein, dass die Auseinandersetzung mit den Rechtsextremen für die nächsten Jahre relevant bleiben wird.
Wie überall in der Bundesrepublik versammelten sich am 20. Januar auch in Heidelberg Bürgerinnen und Bürger, um gegen aufkommenden Rechtsextremismus und gegen verfassungsfeindliche Positionen der AfD zu protestieren. Mehr als 100 Gruppierungen aus der Stadt und der Umgebung schlossen sich dem Bündnis „Nie wieder ist jetzt – gemeinsam stark gegen rechts“ an und demonstrierten für den Erhalt der Demokratie.
Die Protestbewegung hat sich vor der Wahl zum Europaparlament im Juni und zu den nächsten Landtagswahlen im September gerade noch rechtzeitig formiert. Das weckt bei den AfD-Funktionären nicht nur Nervosität sondern – Beispiel Höcke – auch Perfidie:
„Man hat zwar Taschenlampen, also Handyleuchten, in den Himmel gehalten. Aber es sah so ein bisschen aus wie 1933 die Fackelmärsche der Nazis,“ sagte Björn Höcke, Vorsitzender der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag bei einer Bürgersprechstunde über die Demonstranten vor dem Volkshaus in Gera-Zwötzen.
Höcke wird in einem Bericht weiter zitiert: „Ich sage das ausdrücklich in Richtung der ausländischen Kamerateams: Deutschland ist im Jahr 2024 keine funktionierende Demokratie mehr.“ (…) „Die Kartellparteien, vor allem die Roten und Grünen, haben sich eine Straßenkämpfertruppe zusammengebaut. Diese Gutmenschen, oftmals steuerfinanziert, die da die Lichter in die Höhe gehalten haben, das sind dieselben Menschen, die 1933 die Fackelmärsche in Nazideutschland veranstaltet haben.“ *
Der Thüringer Verfassungsschutz hat Höckes Landesverband als gesichert rechtsextrem eingestuft. Erselbstdarf nach einer Entscheidung des Meininger Verwaltungsgerichts vom September 2019 als Faschist bezeichnet werden.
Erst vor wenigen Tagen unterstellte Höcke (in einer offiziellen Stellungnahme des von ihm geführten Landesverbandes) Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) einen „totalitären Charakter“ und die Absicht, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu bekämpfen.
Fazit: Nicht nur Höckes verbale Radikalisierung schreitet fort – auch andere Exponenten der Partei heizen die Stimmung an. Aber mehr als 1,5 Millionen Menschen haben inzwischen eine Petition unterzeichnet, Artikel 18 des Grundgesetzes gegen Björn Höcke anzuwenden, um ihm das aktive und passive Wahlrecht zu entziehen. Diese Initiative und hunderttausende Demonstranten gegen rechts, von München bis Hamburg an einem Wochenende im Januar, verteidigen eine wehrhafte Demokratie in diesem Lande.
Das Kampagnen-Netzwerk Campact hat auf Initiative des Physikers Indra Gosh eine Petition verbreitet, die in wenigen Wochen bis zum 21. Januar 2024 von mehr als 1,5 Millionen Unterstützern unterschrieben wurde. Damit ist ein nötiges Quorum erfüllt: Ab 50.000 Unterzeichnern müsste sich – wenn die Petition eingereicht werden würde – der Petitionsausschuss des Bundestags damit befassen und Gelegenheit zur Anhörung geben. Es geht darum, dem Thüringer AfD-Politiker Björn Höcke die Grundrechte zu entziehen. Dafür müßte die Bundesregierung beim Bundesverfassungsgericht einen Antrag auf Grundrechtsverwirkung nach Artikel 18 Grundgesetz stellen. Die Petition richtet sich an die Fraktionsspitzen aller Bundestagsparteien (außer der AfD).
Um Extremisten die Grundrechte zu entziehen, muss deren Missbrauch „zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ nachgewiesen werden. Über die Grundrechtsverwirkung kann ausschließlich das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Die Grundrechtsverwirkung ist neben dem Parteiverbot ein Instrument der „wehrhaften Demokratie“.
Das Online-Portal der SPD, „VORWÄRTS“, schreibt dazu:
Bundestag, Bundesregierung oder Landesregierung können Antrag stellen
Laut Grundgesetz können insbesondere die politisch relevanten Grundrechte entzogen werden, also Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit, aber auch das Eigentumsrecht. Im Bundesverfassungsgerichtsgesetz ist zudem vorgesehen, dass auch das Wahlrecht und die Befugnis, öffentliche Ämter auszuüben, entzogen werden können. Nicht zuletzt darauf zielt die Petition im Vorfeld der Thüringer Landtagswahl, die für September geplant ist. Höcke ist Spitzenkandidat der AfD und will Ministerpräsident werden.Einen Antrag auf Entziehung der Grundrechte können laut Gesetz lediglich Bundestag, Bundesregierung oder eine Landesregierung stellen. Bürger*innen können also nur an die Staatsorgane appellieren, diesen Weg zu gehen.
Bisher gab es in Deutschland vier Anträge auf Entziehung der Grundrechte. Betroffen waren ausschließlich Rechtsextremisten: Otto-Ernst Remer (Vize-Vorsitzender der verbotenene Sozialistischen Reichspartei), Gerhard Frey (Verleger der Nationalzeitung) sowie die Neonazis Thomas Dienel und Heinz Reisz. Alle vier Anträge wurden vom Bundesverfassungsgericht abgelehnt.
Auch wenn eine Karlsruher Entscheidung vor der Thüringer Landtagswahl schwierig zu realisieren wäre, würde der massive öffentliche Protest gegen die Kandidatur eines als Faschist auftretenden AfD-Politikers ein Zeichen setzen, dass die „wehrhafte Demokratie“ lebendig ist und verteidigt werden kann.
Im September wird in Thüringen ein neuer Landtag gewählt. Die AfD könnte erstmals stärkste Kraft in einem Bundesland werden, obwohl der Thüringer Verfassungsschutz diesen Landesverband bereits im März 2020 als rechtsextremistischen Verdachtsfall eingestuft hat und im darauffolgenden Jahr zum erwiesen extremistischen Beobachtungsobjekt erklärte. Der Verfassungsschutzbericht 2022 des Freistaats Thüringen stellte fest: „Der AfD Landesverband Thüringen ist eine erwiesen rechtsextremistische Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Der Landesverband vertritt seit Jahren Positionen, die sich gegen die Menschenwürde, gegen das Demokratie- und gegen das Rechtsstaatsprinzip richten. Im Berichtszeitraum ist keine politische Mäßigung eingetreten. Im Gegenteil gelten die unter den genannten Begriffen zusammengefassten verfassungsfeindlichen Positionen, die sich in ziel- und zweckgerichteter Weise gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung richten, als die beherrschende und weitgehend unumstrittene politische Ideologie innerhalb des Landesverbandes.“
Landes-Parteichef Björn Höcke, der nach einer Feststellung des Verwaltungsgerichts Meiningen aus dem Jahr 2019 als „Faschist“ bezeichnet werden darf, ist als Rechtsextremist einer der einflussreichsten Politiker der AfD.
Vor mir liegt ein Buch, das Mitte der neunziger Jahre erschien. Der Umschlag zeigt eine Graffitti-besprühte Mauer in gehobener, bürgerlicher Wohngegend. Im Schriftzug „Nazis raus!“ hat ein anderer Sprayer das „raus“ durch ein „rein“ ersetzt und ein dritter sprühte in roten Großbuchstaben die entscheidende Frage: „WOHIN DENN?“.
Titel-Foto „Rechtsextremismus. Ideologie und Gewalt“, Edition Hentrich, 1995